8. Mai: 75 Jahre Befreiung vom Faschismus – der Kampf muss zu Ende geführt werden!

Der 8. Mai 2020 wurde in Kassel mit einer Kundgebung von etwa 100 Menschen auf dem Opernplatz begangen. Es beteiligten sich nach dem gestreamten 1. Mai auch wieder Gewerkschafter an der Kundgebung.

Anschließend wurde noch im Mahnmal am Weinberg den Genossen gedacht, die im Widerstand gegen die Faschisten kämpften und fielen. Jochen Boczkowski erinnerte dazu an seine Kindheit in Kassel. Er ist einer der letzten Zeitzeugen, die den 8. Mai 1945 miterlebten und dessen Erlebnisse ihn zum Kommunisten formten. Sein Redebeitrag ist hier als Video zu sehen.

Bevor wir zu den Kasseler Geschehnissen um den 8. Mai 1945 den Redebeitrag von Ulli Schneider übernehmen, übernehmen nun zunächst den Erinnerungstext zum 8. Mai von den Genossen von Arbeit-Zukunft, denn den 8. Mai zum staatlich Feiertag zu erklären, kann nicht wirklich Ziel führend sein im kapitalistischen Deutschland. Vielmehr muss den Schulkindern, Auszubildenden und Studenten in deutschen Schulen und Universitäten das Opfer vermittelt werden, das uns Deutschen die russische Bevölkerung dar gebracht hat, während sie uns befreit hat von den blutig herrschenden Faschisten, der Sperrspitze des deutschen Großkapitals. Die deutsche Jugend muss wieder mit Herz und Verstand die Worte des Schwurs von Buchenwald in sich aufnehmen und dessen Aufgabe weiter führen: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Es folgt der Text von Arbeit-Zukunft:

Vor 75 Jahren am 8.Mai 1945 kapitulierte die provisorische Regierung des Deutschen Reiches. Damit war die Herrschaft der Nazis und der verbrecherische Krieg der Nazis beendet. Damit war Deutschland und die Welt von diesem mörderischen Pack befreit.

Es war vor allem ein Sieg der Roten Armee und der UdSSR, die die Hauptlast des Kampfes gegen Hitlerdeutschland getragen hatten. Am 1. Mai hissten Soldaten der Roten Armee die rote Fahne auf dem zerstörten Reichstagsgebäude. Sie hatten in schwersten Kämpfen Berlin befreit.

Ca. 50 Millionen Menschenleben kostete der Krieg Nazideutschlands und seiner Verbündeten weltweit. Die Sowjetunion trug mit 27 Millionen die Hauptlast. Während die USA knapp eine halbe Millionen tote Soldaten zu verzeichnen hatte, Großbritannien ca. 330.000, Frankreich 360.000. Allerdings konnte der Sieg nur durch die Zusammenarbeit der Alliierten erlangt werden.

Im Westen Deutschlands wurde dieser Tag lange Zeit schamvoll verschwiegen und als Tag der Niederlage gewertet. 1970 zum 25. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus versuchte die CDU/CSU-Fraktion eine Regierungserklärung zu verhindern. Ihre Begründung: „Niederlagen feiert man nicht“ und „Schande und Schuld verdienen keine Würdigung“. Das ist die gleiche Argumentation, die aktuell Alexander Gauland von der AfD verwendet. Das ist die reaktionäre Tradition der BRD.

Dementsprechend wurde im Westen Deutschlands auch niemals vollständig mit dem Faschismus gebrochen. Altnazis bauten die westdeutsche „Demokratie“ an entscheidender Stelle auf. So war Heinrich Lübcke Bundespräsident von 1959-69 in der NS-Zeit KZ-Baumeister und Verantwortlicher für Zwangsarbeiter. Oder Hans Filbinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg (CDU), galt als furchtbarer Marinerichter, der noch nach der Befreiung vom Faschismus Soldaten als „Deserteure“ zum Tode verurteilte. Auch SPDler waren dabei wie Horst Ehmke. Er hat, als es heraus kam, angeblich „nicht gewusst“, dass er in der NS-DAP war.

Die Bundeswehr wurde an führender Stelle von ehemaligen Offizieren der Reichswehr und der SS mit aufgebaut. Beim Verfassungsschutz fungierte nach einem kurzen Zwischenspiel Hubert Schrübbers (CDU) als Verfassungsschutzpräsident. Als Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt hat er in der NS-Zeit einige Menschen ins KZ und damit in den sicheren Tod geschickt. Als Chef des VS

stellte er viele SSler und SDler ein. So ging es weiter bis zu Hans Georg Maaßen (CDU).

In vielen anderen staatlichen Einrichtungen arbeiteten Ex-Nazis als „Spezialisten“.

Mithilfe der westlichen Geheimdienste wie dem CIA wurden von der BRD aus rechtsterroristische Strukturen zum „Kampf gegen den Kommunismus“ aufgebaut. So wurde 1948 die „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ (KgU) gebildet. Ihre Aufgabe: Zersetzung und Terror gegen die

DDR. In dieser Gruppe sammelten sich Antikommunisten aller Schattierungen (CDU, SPD, Rechte) und auch Rechtsterroristen. Zu den Gründern und Leitern der KgU gehörte unter anderem Ernst Benda (CDU), der auch Lizenzträger der Alliierten Kommandantur für die KgU war. Zur Belohnung wurde er später Innenminister und ab 1971 bis 1983 Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Seine Terrortruppe legte in der DDR Kaufhausbrände mit Phosphorampullen, zerstörte Schienen und Brücken, führte Todeslisten und schmiedete Mordpläne gegen Kommunisten, verübte Spionage für den CIA und andere Geheimdienste.

In dieser Tradition stand auch die ab 1950 von der NATO aufgebaute Geheimarmee Gladio. Ein Ausbildungszentrum dieser Truppe, die in Europa Terroranschläge verübte, war in Bad Tölz in Bayern. In Deutschland wurde jedoch von einer großen Koalition aus CDU/CSU, SPD, FDP eine

Aufklärung verhindert.

1978 folgte das „Celler Loch“, ein Sprengstoffanschlag auf die JVA Celle durch die „Anti-Terror-Einheit“ GSG9 und die niedersächsische Landesregierung. Er sollte der RAF in die Schuhe geschoben werden. 1980 gab es das rechtsradikale Bombenattentat auf das Oktoberfest, das nie aufgeklärt wurde. Es folgte die rechtsterroristische „Wehrsportgruppe Hoffmann“, die jahrelang

unbehelligt ihr Unwesen treiben durfte, die Pogrome gegen Flüchtlinge und Migranten in den 90er Jahren wie in Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen. Von 1999 bis 2011 konnte der NSU seine Blutspur durch Deutschland ziehen. Die Verstrickungen des Staates sind bis heute nicht

aufgeklärt.

Rechtsradikale Netzwerke – auch in Polizei, Bundeswehr und Staatsapparat – um Uniter, Nordkreuz, Südkreuz flogen nur durch die Recherche einiger mutiger Journalisten auf. Die Reaktion des Staates auf ein Netzwerk, das hunderte Waffen, Munition, massenhaft Sprengstoff, Leichensäcke, Löschkalk in Verstecken hortete und Todeslisten führte, war kosmetisch. Es gab

ein paar Entlassungen, Geldstrafen, aber nie eine Aufklärung über die Verflechtungen in den Staatsapparat selbst.

Daneben wurden seit Gründung der BRD unbehelligt legale faschistische und rassistische Parteien und Organisationen aufgebaut. Die Reihe ist lang: Deutsche Reichspartei (DRP), NPD, REP bis hin zur AfD. Sie durften die Stimmung schaffen, in der Pogrome und rechter Terror möglich wurden.

Wenn wir am 8. Mai die Befreiung vom Faschismus feiern, dann wissen wir, dass dies ein großer Sieg war. Wir wissen aber zugleich, dass vor uns die Aufgabe einer zweiten Befreiung von Faschismus und Rassismus liegt. Denn die Faschisten sind die Hilfstruppen und Bluthunde des Kapitals. Sie sollen das Volk spalten, gegeneinander hetzen und alles Fortschrittliche einschüchtern und mundtot machen. Um das Vermächtnis des 8. Mai zu erfüllen, sehen wir die Verpflichtung, alles für die vollständige Ausmerzung von Rassismus und Faschismus zu tun. Und wie der 8. Mai zeigt,

werden die Rassisten und Faschisten niemals freiwillig und friedlich ihr zerstörerisches und blutiges Werk aufgeben.

Hier folgt der Redebeitrag von Ulli Schneider:

Wir erinnern in diesem Jahr an den 75. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg.

Die Erinnerung an dieses Datum ist ein wichtiger Teil unserer politischen Kultur. Die meisten von uns werden sich noch daran erinnern, dass es 40 Jahre gedauert hat, bis ein deutscher Bundespräsident, nämlich Richard von Weizsäcker zum ersten Mal diese Begrifflichkeit benutzt hatte. Bis dahin sprach man von Niederlage, Kapitulation oder Katastrophe – aber nicht davon, dass auch die deutsche Bevölkerung vom Faschismus befreit wurde, selbst diejenigen, die noch bis 5 Minuten nach 12 „in Treue fest“ mit dem Regime verbunden waren.

In Kassel hatte diese Befreiung durch die alliierten Streitkräfte bereits einige Wochen vorher stattgefunden. Es waren die Ostertage 1945, als amerikanische Einheiten das Kasseler Becken erreichten und nach wenigen Tagen den letzten Widerstand von Wehrmacht, Volkssturm und SS – Verbänden zerschlugen.

Am 4. April 1945 kapitulierten die letzten Wehrmachtseinheiten, nachdem sie noch mehrere Tage – also bis 5 Minuten nach 12 – unsinnigen Widerstand geleistet hatten und damit den Tod weiterer Menschen zu verantworten hatten.

Sie hatten mit diesem militärischen Widerstand auch zu verantworten, dass in den letzten Stunden vor der Befreiung der Stadt die Gestapo und SS noch drei Verbrechen begehen konnten. Sie ermordeten am Karfreitag 1945 zwölf Häftlinge des Zuchthaus Wehlheiden, darunter Wolfgang Schönfeld, der 1944 als Deserteur verhaftet worden war, ohne irgendein Urteil auf dem Wehlheider Friedhof.

Sie ermordeten am Ostersamstag 78 italienische Zwangsarbeiter und einen sowjetischen Häftling angeblich wegen Plünderung – sie hatten sich aus einem aufgebrochenen Wehrmachtstransport auf dem Bahnhof Wilhelmshöhe Lebensmittel genommen. Sie wurden ebenfalls standrechtlich erschossen. Verantwortlich war in beiden Fällen der Leiter der Kasseler Gestapo Franz Marmon. Auf seinen Befehl hin wurden ebenfalls am Ostersamstag 28 Häftlinge des Arbeitserziehungslagers Breitenau, darunter 16 sowjetische, 10 französische und 2 niederländische Gefangene von SS-Leuten in den Fuldabergen bei Guxhagen ermordet.

Es scheint mir heute wieder nötig zu sein, an diese Verbrechen zu erinnern, um die Perspektive, die mancher Zeitgenosse mit dem Kriegsende verbindet, die „Deutschen seien doch auch Opfer gewesen“, zurückzuweisen.

Aber selbst für Mitläufer und Mittäter des NS-Regimes waren der 4. April in Kassel und der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung. Eröffnete er ihnen doch die Möglichkeit aus dem faschistischen System und den Fesseln der „Volksgemeinschaftsideologie“ auszubrechen und nun einen neuen Weg zum Aufbau einer demokratischen und friedlichen Gesellschaft mitzugehen.

Und anders als Alexander Gauland von der AfD, der vor wenigen Tagen beklagte, der 8. Mai 1945 sein „ein Tag der absoluten Niederlage, ein Tag des Verlustes von großen Teilen Deutschlands und des Verlustes von Gestaltungsmöglichkeit“ für das Deutsche Reich gewesen, haben die Antifaschisten auch in unserer Stadt die Befreiung als Chance begriffen, eine neue Gesellschaft zu gestalten.

Trotz Ausgeh- und Versammlungsverbot kamen schon in den ersten Tagen und Wochen nach der Befreiung Kasseler Nazigegner zusammen, um zu überlegen, wie ein politischer Neuanfang aussehen soll. Ehemalige Mitglieder der SPD, unter ihnen Rudolf Freidhof, Georg Häring und Hans Nitsche trafen sich zum ersten Mal Mitte April in der Privatwohnung von Karl Hermann in der Frankfurter Str.7 und später in den Räumlichkeiten des Rathauses. Unter aktiver Beteiligung von Kommunisten entstanden in den stillgelegten Betrieben und einigen Stadtteilen die ersten „antifaschistischen Komitees“. Darüber hinaus fanden sich Einwohner verschiedener politischer Richtungen in „Aufräumungsausschüssen“ zusammen.

Den ersten organisationspolitischen Neuanfang versuchten ehemalige Gewerkschafter, wie Karl Eckerlin, Theo Hüpeden und Paul Pfetzing. Nach einigen Vorgesprächen fand am 25. April 1945 im Rathaus im Rathaus eine erste Zusammenkunft mit etwa 80 Personen statt. Doch es konnten keine Beschlüsse gefasst werden. Die Versammlung wurde nach kurzer Zeit vom amerikanischen Geheimdienst C.I.C. (Counter Intelligence Corps) aufgelöst. Solche Aktivitäten waren den Besatzungsoffizieren zum damaligen Zeitpunkt suspekt.

Doch damit gaben sich die Initiatoren nicht zufrieden. Karl Kuba, Paul Pfetzing und andere trugen „noch in derselben Woche der amerikanischen Militärregierung für den Stadt- und Landkreis Kassel den auf Wiedererrichtung der freien Gewerkschaft gerichteten Wunsch der Kasseler Arbeiterschaft“ vor, heißt es in einem Schreiben vom 6.Juni 1945. Eine Entscheidung darüber wurde jedoch seitens der Amerikaner „von Woche zu Woche zurückgestellt“.

Wenn wir also an den 75. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg erinnern, dann auch an diejenigen Frauen und Männer, die sich für den antifaschistisch-demokratischen Neubeginn in unserer Stadt eingesetzt haben. Und sie haben einiges von ihren Zielen versucht umzusetzen.

Die politische Losung „Nie wieder Krieg!“ haben beispielsweise die Arbeiter in Kassel konkret übersetzt mit „Nie wieder ‚Tiger-Stadt‘!“. Und als im Deutschen Bundestag über die Remilitarisierung diskutiert wurde, kam es in Kassel zum ersten politischen Streik, als die Arbeiter von Henschel und anderen Unternehmen spontan auf die Straße gingen und gegen die Wiederaufrüstung protestierten. Wir alle wissen, dass dieser politische Widerstand nicht von Erfolg gekrönt war.

Umso dringender ist es für mich, in Erinnerung an den 75. Jahrestag der Befreiung der Stadt und der damaligen Verpflichtung „Nie wieder Krieg!“ heute für ein Ende der Kriegsproduktion in unserer Stadt und für Rüstungskonversion einzutreten. Natürlich wusste man damals und wissen wir heute, dass mit Rüstung enorme Profite gemacht werden. Aber damals war es auch im allgemeinen Bewusstsein, dass solche Profite Blutgeld sind – bezahlt mit dem millionenfachen Tod der Zivilbevölkerung, mit den Opfern auch in dieser Stadt.

Und wir sollten auch die zweite Losung des 8. Mai 1945 nicht vergessen: „Nie wieder Faschismus!“ Natürlich wissen wir, dass ein faschistisches Regime nicht vor der Tür steht, aber wenn wir heute an den 75. Jahrestag der Befreiung erinnern, müssen wir auch daran erinnern, dass vor 14 Jahren der neofaschistische Mordterror des Netzwerkes des NSU in Kassel zugeschlagen hat. Halit Yozgat wurde am 6. April 2006 in Kassel ermordet. Und es ist nicht einmal ein Jahr her, da wurde Anfang Juni 2019 der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von dem Neofaschisten Stefan Ernst und seinem Komplizen brutal ermordet. Das sind nur zwei blutige Beispiele, die unsere Losung bestätigen „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“.

Und in diesem Sinne ist und bleibt für uns der 8. Mai der Tag der Befreiung, aber auch ein Tag der Mahnung und der Selbstverpflichtung, das Vermächtnis der Überlebenden politisch fortzusetzen. Und damit das nicht allein in diesem Jahr so ist, sondern auch in den kommenden Jahren, hat die VVN-BdA – initiiert durch einen offenen Brief der Auschwitz Überlebenden Esther Bejarano an Bundespräsident Steinmeier – eine Petition auf den Weg gebracht, den 8. Mai bundesweit zum Feiertag zu erklären. Ich kann euch die erfreuliche Nachricht überbringen, dass diese Petition ein voller Erfolg ist. Gestern wurden den Vertretern des Deutschen Bundestages bereits 95.000 Unterstützernamen übergeben und von Abgeordneten der SPD, der Grünen, der FDP und der LINKEN übernommen. Sie versprachen, sich auch in diesem Parlament für dieses Anliegen einzusetzen.

Heute Vormittag wurde die Zahl von 100.000 Unterstützern überschritten und es kommen stündlich weitere dazu.

Herzlichen Dank für diese großartige Unterstützung.

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