Auswirkung der Kolonisation auf die Lebensverhältnisse der indigenen Bevölkerung Südafrikas von 1900-1950

Verehrte Leser, im Folgenden bieten wir einen Artikel von Genossen Minervan über die Anfänge der Apartheid in Südafrika dar.

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Die Zeitperiode von 1900-1950 ist charakterisierbar als die Entstehung der Union Südafrikas als kolonialer, rassistischer und kapitalistischer Apartheidstaat, welcher die Lebensweise der indigenen Afrikaner fundamental verändern sollte. Anfang des 19. Jahrhunderts existierten auf dem südafrikanischen Gebiet die von den Briten kontrollierte Kapkolonie und Natal und die von den Buren, den niederländischen Kolonisten, kontrollierten Republiken Transvaal und der Freistaat Oranje. Die Entstehung der Union Südafrikas erfolgte nach den beiden Burenkriegen 1910 1.

Die Verfassung des neu entstandenen Staates war das Produkt des Streites zwischen den „Afrikaanern“, den holländischen Kolonisten, welche mehrheitlich eine Diskriminierung der Schwarzafrikaner auf Basis der Ethnie anstrebten und die englischen Kolonisten, welche mehrheitlich eine Diskriminierung auf der Basis von Wohlstand und Besitz und die Einführung eines Klassenwahlrechts anstrebten. Letztendlich, da beide Fraktionen gleichermaßen gewillt waren, die Schwarzafrikaner zu unterdrücken und sich nur bei der Art und Weise uneins waren, lief es darauf hinaus, dass die vier Gebiete, welche die ehemaligen Kolonialrepubliken waren, ihre eigenes diskriminierendes Wahlrecht beibehalten dürften. Das bedeutete, die Afrikaankerterritorien behielten ihr Rassenwahlrecht, und die Engländerterritorien ihr Klassenwahlrecht bei. Aufgrund der Tatsache, dass der südafrikanische Staat weder die Mehrheit der Bevölkerung vertrat, noch ein eigenes Verfassungsgericht besaß (Die Überwachung der Rechtsstaatlichkeit viel auf die Legislative zu) bezeichnet der Historiker Christopher Marx Südafrika zu dieser Zeit als „parlamentarische Diktatur“ 2. Der südafrikanische Staat war demnach ein Staat, welcher primär die Interessen der weißen Minderheit und ihres Kapitals zu schützen suchte, eine Diktatur der Bourgeoisie.3

Um die Wurzeln dieses Staates und dieser Gesellschaft zu analysieren und zu interpretieren bedarf es eine Analyse der ökonomischen Verhältnisse.4

Die Kolonisation brachte ebenfalls den Industriekapitalismus mit sich, wie zu sehen etwa am industriellen Diamanten und Goldbergbau, welche bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden und eine der attraktivsten Investitionen und profitabelsten Wirtschaftszweige Südafrikas darstellte und aufgrund ihrer Beziehung zum britischen Imperialismus England verbunden war 5 Im Falle Südafrikas nun entwickelte sich der Kapitalismus anders als wie in den europäischen Nationen nicht organisch, sondern im Rahmen des rassistischen Kolonialismus, folglich lassen sich leicht unterschiedliche, aber dennoch ähnliche Entwicklungen beobachten. Im kolonialen Südafrika zeichnete sich im Zuge der Entwicklung des Kapitalismus die für ihn charakteristische Aufteilung der Gesellschaft in Klassen, zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Die Bourgeoisie bestand zum einen aus den englischen Kapitalisten, welche vornehmlich im Diamanten und Goldbergbau aktiv wahren und aufgrund ihrer Nähe zu England das internationale, exportorientierte Kapital sowie de facto das Monopolkapital bildeten6. Zum Anderen gab es die niederländische „National“Bourgeoisie, welche sich von der Vormacht des englischen Kapitals bedroht fühlte und für die Errichtung eines „nationalen Kapitalismus“, das heißt einen vor-monopolistischen, stand. Ihre Klasseninteressen ließ sie zu einer reaktionär-nationalistischen Kraft entwickeln. Ebenfalls entstand ein Proletariat, welches im Verlauf der ökonomischen Entwicklung primär aus schwarzen und generell nicht-weißen Bevölkerungsteilen, wie etwa Inder oder Chinesen, bestehen sollte.

Der „Natives Land Act“ von 1913 markierte hierbei die entscheidende Konsolidierung der Herrschaft des weißen Kapitals gegenüber den schwarzen Bauern und der Beginn einer massenhaften Proletarisierung der Schwarzen. Der Akt nämlich verbat Schwarzafrikanern den Besitz und Erwerb von Land außerhalb von bestimmten Reservaten, welche insgesamt ca. 7-8% des gesamten südafrikanischen Territoriums ausmachte7 Das zwang ein Großteil der schwarzen Bauernschaft, auf den Feldern der nun ökonomisch deutlich erstarkten weißen Landbesitzer zu arbeiten und schaltete die schwarze Konkurrenz auf dem Land aus.8 Die Reservate wurden als Reservoir für die industrielle Reservearmee für Industrie und Landwirtschaft.9 Charakterisieren lässt sich dieser Prozess als „ursprüngliche Akkumulation“ welche die unabhängigen, hauptsächlich schwarzen, Bauern ihrer Produktionsmittel beraubte und so zu lohnabhängigen Arbeitern für die weißen Landbesitzer verwandelte.10 Im starken Kontrast dazu stand die prä-koloniale Zeit der Stammesgesellschaft, in der Land und Technologie in gemeinschaftlichen Besitz stand. Dem Vieh kam in der Gesellschaft eine recht bedeutende Stellung zu, es wurde privat besessen und war primär Gegenstand von Ritualen oder Mitgiften bei Heiraten. Schon damals ließen sich erste Elemente einer patriarchalen Gesellschaft entdecken, so etwa in der Arbeitsteilung zwischen Man und Frau und die rechtliche Dominanz des Mannes in der Beziehung11.

Das Ansehen der Älteren in der afrikanischen Gesellschaft wandelte sich ebenfalls von ehemals respektierten und weisen lokalen Anführern zu „unproduktiven Lastern“, vor allem ab und zwischen den 1920-1930. Jahren als Folge der Abwanderung vieler Schwarzafrikaner in die Städte und der durch Industrialisierung und Dürre wie Finanzkrise entstandene erhöhte Notwendigkeit der Lohnarbeit.12Die „schwarze Urbanisierung“ bedingte den Aufstieg eines schwarzen städtischen Proletariats und somit neue Widersprüche innerhalb des Rassenstaates. Manifestieren taten sich diese unter Anderem in dem „1923 Urban Areas Act“, welcher eine Rassentrennung innerhalb der multi-ethnischen urbanen Gebiete und den neu entstandenen und Slums mittels Vertreibung zu forcieren sollte. Das Gesetz wurde 1930 abgeändert, um die Einwanderungsströme an Schwarzen weiter einzuschränken13. Viele schwarzafrikanische Arbeiter waren als Resultat gezwungen, in den Behausungen im Hinterhof des jeweiligen Arbeitgebers zu wohnen14 Eines der größten „Meilensteine“ auf dem Weg zu Apartheid war der „Native Act 1952“ sowie eine Änderung des 1923. Gesetzes. Ersteres machte den Besitz eines Referenzbuches zur Implementierung eines landesweiten Migrationskontrolle Pflicht. Zweites erklärte alle Stadtgebiete als „weiße Zonen“ und limitierte den freien Eintritt für Schwarze in eine solche Zone auf 72 Stunden15. Damit war der Zugang zur Stadt für Schwarze kaum mehr möglich und die Apartheid praktisch eingeführt. Ebenso deutlich wird hierbei der vom Rassismus getriebene Fokus der Regierung, eine ethnisch segregierte Gesellschaft auf Kosten einer effektiveren bzw. freieren Entfaltung des Kapitalismus.

Der Blick auf das südafrikanische, auch das weibliche, Proletariat zeigt den allgemeinen Charakter innerhalb der besonderen, nationalen Entwicklung des Kapitalismus.

Deren Situation ist hierbei recht abhängig von Ort und Zeit und kann daher nicht allzu pauschalisiert werden. Es lässt sich jedoch sagen, das sowohl die weißen als auch afrikanischen männlichen Arbeiter primär in der Industrie beschäftigt waren, während die Frauen aufgrund patriarchaler Verhältnisse, darunter das Gebunden sein der Frau an den Haushalt bis zur Heirat im frühen 20. Jahrhundert16, generell ein prekäres Arbeitsverhältnis hatten. Die meisten Frauen arbeiteten überwiegend im Haus, während nur ein kleiner Teil in der Industrie arbeitete17. Während weiße unverheiratete Frauen ab 21 durch das römisch-niederländische Recht bei der Frage nach Land den Männern gleich gestellt waren, war es den schwarzen Frauen versagt geblieben.18. Die schwierige ökonomische Situation zwang vor allem schwarze Frauen dazu, illegal Bier zu brauen und zu verkaufen, was zu ihrer Stigmatisierung führte , wie die Situation Johannesburgs in den 1920er. Jahren zeigt19. Neben der Hausarbeit war Prostitution eine zweite Tätigkeit für viele ärmere Frauen mit proletarischen Hintergrund, gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezession, wie etwa in 1904-1905, sowie 1906-190820. Die Schnittmenge zwischen früher Apartheid und kapitalistischer Entwicklung lässt sich an der folgenden Grafik zur Einkommensverteilung zwischen weißen und schwarzen Südafrikanern festmachen:

[Siehe Titelbild]

Auffallend ist die extreme Ungleichheit zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen, welche als direkte Folge der Akkumulation von Kapital der Weißen sowie die gezielte Verdrängung der Schwarzen aus höher bezahlten Tätigkeiten gewertet werden muss. 21

Eine Evaluation der in dem Text diskutierten Literaturen lässt im Bezug auf die Eingangsfrage nach den Lebensverhältnissen der Schwarzafrikaner zwischen 1900-1950 im Kontext der Kolonialisierung sagen, das jene, ähnlich wie in anderen Kolonialstaaten, mit der Einführung des Kapitalismus, gepaart mit einer im Verhältnis zu anderen Kolonialstaaten radikalen rassistischen Politik, die ursprüngliche, urkommunistische Lebensweise kontinuierlich zerstörte und allmählich durch eine allgemeine Proletarisierung und segregierten Urbanisierung der Schwarzafrikaner (Primär Männer) ersetzte. Der durch die neue Produktionsweise und neuen Produktionsmitteln entstandene Reichtum und Mehrwertextraktion22 konzentrierte sich als Folge der Apartheidpolitik vornehmlich auf die weiße Bevölkerungsschicht. Der Effekt ist gleich der Theorie der Klassengesellschaft nach Marx, hier in einem zusätzlich ethnischen Kontext (überwiegend schwarzes Proletariat im Widerspruch zu überwiegend weißen Bourgeoisie). Patriarchale Verhältnisse innerhalb der Stämme wurden im Prozess der Kolonialisierung weiter verstärkt und die Frau teilweise proletarisiert. Das Ansehen der Alten innerhalb der Schwarzafrikaner wurde vermehrt aufgrund des Aufstiegs der kapitalistischen Lohnarbeit verschlechtert und sie verloren schließlich ihren Status als weise und geachtete Mitglieder der Gesellschaft. Eine Partizipation an der Politik blieb den Schwarzafrikanern gänzlich verwehrt. Das Lebensverhältnis des Schwarzafrikaners in Südafrika war allgemein demnach dem eines unmündig gehaltenen Lohnarbeiters, welcher nur so weit vom erwirtschafteten Reichtum profitierte, wie er und die herrschende Klasse es zum Selbsterhalt benötigte.

Literaturverzeichnis:

1. Limb, Peter. 2006. “Charles H. Feinstein. An Economic History of South Africa: Conquest, Discrimination and Development. Cambridge: Cambridge University Press, 2005.” In:African Studies Review 49. Cambridge University Press

2. K.S.O. Beavon (1982) Black Townships in South Africa, In:South African Geographical Journal.

3. Berger, Iris. Threads of solidarity: Women in South African industry, 1900-1980. Indiana University Press, 1992

4. MacKinnon, A.S. Africans and the Myth of Rural Retirement in South Africa, ca 1900–1950. J Cross Cult Gerontol 23, 161–179 (2008).

5. Ian Ochiltree. “Mastering the Sharecroppers: Land, Labour and the Search for Independence in the US South and South Africa.” In:Journal of Southern African Studies 30, Nr. 1 (2004): 41–61.

6. Feinberg, Harvey M. “The 1913 Natives Land Act in South Africa: Politics, Race, and Segregation in the Early 20th Century.” The International Journal of African Historical Studies 26, Nr. 1 (1993): 65–109

7. Seekings,Jeremy.Nattrass,Nicoli.Class, Race, and Inequality in South Africa.Vereinigtes Königreich:Yale University Press,2008.

8. Marx, Christoph. “Afrikaaner Nationalismus und die Errichtung des Rassenstaates in Südafrika 1910.” In:Geschichte Und Gesellschaft 17, Nr. 1 (1991): S.30–60.

9. Marx, Karl. „Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“. In: Gesammelte Werke Karl Marx-Friedrich Engels. Anaconda Verlag

10. Engels, Friedrich. „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“. In: Gesammelte Werke Karl Marx-Friedrich Engels. Anaconda Verlag

11. Marx, Karl. „Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Band 1“. Nikol Verlag. Ungekürzte Ausgabe nach der zweiten Auflage von 1872

12. Lenin, Vladimir. „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“

13. Lenin, Vladimir. „Staat und Revolution“

1.Marx, Christoph. “Afrikaaner Nationalismus und die Errichtung des Rassenstaates in Südafrika 1910.” In:Geschichte Und Gesellschaft 17, Nr. 1 (1991): S.30–60. S.30

2.Ebenda, S.45

3. Vgl. Lenin,Vladimir. „Staat und Revolution“

4. Nach marxistischer Theorie bildet die Ökonomie die Basis für politische, soziale, kulturelle usw. Verhältnisse (Den „Überbau“). Die Theorie wird in den Werken von Karl Marx und Friedrich Engels aufgegriffen und erörtert, konkret sei an dieser Stelle jedoch auf das Werk „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ von Friedrich Engels verwiesen.

5..Marx, Christoph. “Afrikaaner Nationalismus und die Errichtung des Rassenstaates in Südafrika 1910.” In:Geschichte Und Gesellschaft 17, Nr. 1 (1991): S.30–60. S.31

6. Zu Beobachten sind hierbei die Auswirkungen des Imperialismus, welches die Entstehung einer Monopolbourgeoisie als Charakteristikum hat. Vgl. „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ von Vladimir Lenin

7. Feinberg, Harvey M. “The 1913 Natives Land Act in South Africa: Politics, Race, and Segregation in the Early 20th Century.” The International Journal of African Historical Studies 26, Nr. 1 (1993): 65–109. S.68

8. Ian Ochiltree. “Mastering the Sharecroppers: Land, Labour and the Search for Independence in the US South and South Africa.” In:Journal of Southern African Studies 30, Nr. 1 (2004): 41–61. S.42

9. ..Marx, Christoph. “Afrikaaner Nationalismus und die Errichtung des Rassenstaates in Südafrika 1910.” In:Geschichte Und Gesellschaft 17, Nr. 1 (1991): S.30–60. S.46

10. Verweis auf das Werk „Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“ von Karl Marx

11. Limb, Peter. 2006. “Charles H. Feinstein. An Economic History of South Africa: Conquest, Discrimination and Development. Cambridge: Cambridge University Press, 2005.” In:African Studies Review 49. Cambridge University Press. S.18

12. MacKinnon, A.S. Africans and the Myth of Rural Retirement in South Africa, ca 1900–1950. J Cross Cult Gerontol 23, 161–179 (2008). S.14-15[PDF-Seitenzahl]

13. K.S.O. Beavon (1982) Black Townships in South Africa. In; South African Geographical Journal. S14-15

14. Seekings,Jeremy.Nattrass,Nicoli.Class, Race, and Inequality in South Africa.Vereinigtes Königreich:Yale University Press,2008. S.63

15. Ebenda S.16

16. Berger, Iris. Threads of solidarity: Women in South African industry, 1900-1980. Indiana University Press, 1992, S.20

17. Ebenda S.18

18. Ebenda S.19

19. Ebenda S.24

20. Ebenda S.25

21. Grafik entnommen aus: Limb, Peter. 2006. “Charles H. Feinstein. An Economic History of South Africa: Conquest, Discrimination and Development. Cambridge: Cambridge University Press, 2005.” In:African Studies Review 49. Cambridge University Press

22. Begriff Mehrwert nach Karl Marx in „Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Band 1“. Dritter Abschnitt, siebtes Kapitel „Die Rate des Mehrwerts“

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