Der Zusammenbruch der Eisernen Front – Ein Kommentar zu den Ereignissen in Thüringen

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Man mag meinen, dass die Ereignisse in Thüringen bloße Regionalpolitik wären, ein Skandal, der auf Bundesebene keine Auswirkungen haben sollte. Bloße Alleingänge der CDU und FDP mit Unterstützung der AfD. Es ist aber mehr als das. CDU und FDP schrieben sich doch formell, wie alle anderen bürgerlichen Parteien, außer der AfD, den „Kampf gegen rechts“ auf die Fahnen1. Zwar ist es keine offizielle gemeinsame Organisation, aber dennoch erinnert das an die Eiserne Front und das Reichsbanner der Weimarer Zeit aus SPD, Zentrum und DDP, wobei die CDU und FDP gewissermaßen die Nachfolgeparteien von Zentrum und DDP bilden. Genauso wie damals schreiben diese sich heute genauso den „Kampf gegen links“2 auf die Fahnen, verteidigen also eine imaginäre „Mitte“ zwischen allen Seiten. In Weimar endete es damit, dass auch das Zentrum und die DDP für das Ermächtigungsgesetz stimmten, also ihr „Kampf gegen links und rechts gleichermaßen“ am Ende bloß ein Kampf gegen links gewesen ist. Für CDU und FDP hätte man bisher behaupten können, dass diese Parteien es damit ernst meinen würden. Jetzt kann man ersehen, dass diese „Mitte“ in Wahrheit mitten im rechten politischen Lager steht. Wolfgang Kubicki von der FDP lobte die Wahl Kemmerichs als „Sieg der demokratischen Mitte“3, obwohl er ohne AfD-Stimmen nicht hätte gewählt werden können, obwohl Bodo Ramelow inhaltlich gesehen den rechten Flügel der Linkspartei abdeckt, eigentlich mit beiden Beinen in der SPD steht, aber seinen Rumpf noch in der Linkspartei hat. Nicht nur das: Man kann sogar von ganz bürgerlicher Seite sagen, dass das eine unnötige Destabilisierung der politischen Verhältnissen im Thüringer Landtag ist, denn die FDP kann keine Mehrheit erhalten, es sei denn, sie geht mit CDU und AfD zusammen, wie bei der Wahl Kemmerichs. Kemmerich selbst behauptete in einer Stellungnahme: „Eine Zusammenarbeit mit der AfD gab es nicht, gibt es nicht und wird es nicht geben.“4 Das ist eine Lüge, denn er selbst ist das Ergebnis davon. Es zeigt nur die Unwilligkeit zur Selbstkritik für diese bereits stattgefundene Zusammenarbeit. Die Ankündigung seines Rücktritts ist relativ wertlos, denn bis zu Neuwahlen ist erstmal er weiterhin geschäftsführender Ministerpräsident von Thüringen. Die Ankündigung von Annegret Kramp-Karrenbauer, dass die CDU keinen Kandidaten unterstützen würde, der auf die Stimmen der AfD angewiesen ist5, ist Heuchelei, denn es ist unlängst geschehen und es wird unglaubwürdig, wenn sie die Hauptschuld dieser Situation Ramelow zuschiebt und erst tertiär eine Schuld der CDU sieht, Kemmerich gewählt zu haben6. Es wurde ausgeschlossen, Kandidaten von PdL und AfD zu unterstützen7, obwohl Ramelow selbst die Nähe zur CDU suchte8, wie man in der Talkshow von Markus Lanz am 9. Januar 2020 sehen konnte9. Es kann sich also nicht um prinzipielle inhaltliche Differenzen handeln. Kemmerich selbst wetterte noch mal gegen die „Extreme von rechts und links“10, womit er auf die AfD und PdL anspielt. Dabei ist die PdL nicht anders ausgerichtete als die SPD, und das nicht nur, weil sie mit dieser seit Jahren in Thüringen koaliert. Das zeigt, dass die „Mitte“ für die FDP im rechten Lager steht, da bloße Sozialdemokratie, also „Mitte-links“, für sie bereits „linksextrem“ ist. Man kann meinen, dass ich da zuviel hineininterpretieren würde. Man kann zwar anführen, dass die FDP im Jahre 2012 sich gegen die Überwachung der Abgeordneten der Linkspartei im Bundestag wandte11, aber genauso, dass sie in Niedersachsen für die Überwachung der Linksparteiabgeordneten im Landtag stimmte12. Es ist also mal mindestens eine reale Möglichkeit.

Diese Wahl zeigt außerdem nicht nur die Verlogenheit der Gleichsetzung der politischen Lager links und rechts und wie in der Praxis es bloß ein Kampf gegen links geführt wird, sondern auch, wie undemokratisch Verhältniswahlen sind, bei denen die Abgeordneten nicht ihren Wählern gegenüber, sondern nur gegenüber „ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich sind“13, wie Artikel 38 des Grundgesetzes besagt. Ohne direkte Rechenschaftspflicht den Wählern gegenüber kann es keine Demokratie geben. Dass diese „Gewissensentscheidung“ von CDU und FDP keineswegs im Sinne ihrer Wähler gewesen ist, zeigt der Absturz beider Parteien in den Umfragen: Die CDU verliert 10% und die FDP rutscht auf 4% und wäre somit nicht mehr im Landtag, die AfD stagniert und die Linkspartei gewinnt an Stimmen14. Es zeigt, wie wenig repräsentativ die Wahlergebnisse für den wirklichen Wählerwillen sind und wie sehr die „Mitte“ hinter all den heuchlerischen Floskeln im rechten Lager steht. Das sind die Lehren aus den Ereignissen in Thüringen.

6Ebenda 5:36

7Ebenda 1:20

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