Die Entstehung des Privateigentums im Spiegel bürgerlicher Klassiker

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Das Privateigentum sei heilig und habe ewig zu bestehen – das ist heutzutage die vorherrschende Sichtweise der Großbourgeoisie, wenn man sie überspitzt auf den Punkt bringt. Die revolutionäre Bourgeoisie sah das anders. Es gibt drei bekannte Theoretiker, die von der Bourgeoisie bis heute zumindest in Lippenbekenntnissen hochgehalten werden: Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau. Diese waren sich zwar nicht im Detail einig, dafür aber in der Feststellung, dass das Privateigentum erst mit der Zeit aufkam, nicht vom Anbeginn der Menschheit besteht. Deren Anschauungen seien hier umrissen und einer historisch-materialistischen Einordnung unterzogen.

Hobbes

Hobbes zufolge finden sich Menschen in Gemeinwesen zusammen, die sie beschränkt, um eine Macht zu haben, die den permanenten Kriegszustand beendet und die Menschen unter Androhung von Strafe zur Einhaltung ihrer Verträge zwingt1. Laut Hobbes würden sich die Menschen in einem dauerhaften Kriegszustand befinden, wenn es keine Staatsmacht gäbe, um „sie alle einzuschüchtern“2. Er sagt es nicht offen, aber er unterstellt damit eine böse Menschennatur, die es zu zügeln gelte. Damit ist die Denke von Hobbes gar nicht so weit auseinander von Xünzis Anschauungen. „Die Natur des Menschen ist böse.“3, schrieb er. Genauso wie Hobbes vertrat Xünzi die Position, dass die Menschen nicht ohne Gemeinwesen und sozialer Unterteilung existieren könnten, da sie sich sonst im Chaos bekämpfen würden4. Xünzi schrieb aber auch, dass der Mensch eben wegen seiner bösen Natur zum Guten hin strebe5. Die Gründe dafür seien, zusammengefasst, der Wunsch nach einer besseren materiellen Stellung und nach sozialer Anerkennung. „Menschen werden mit Bedürfnissen geboren.“6, erkannte Xünzi an. Das hieß aber nicht, dass er dem werktätigen Volk eingestanden hätte, aus dem eigenen Klasseninteresse heraus gegen den Feudalismus zu kämpfen. Xünzi war für die Herrschaft der Feudalherren7. Mozi wurde von Xünzi dafür attackiert, dass er „den Rängen und Klassen“ gegenüber „Verachtung“ entgegenbringen würde8. Der Hintergrund dafür sind die utopisch-sozialistischen Anschauungen Mozis gewesen. Dasselbe Problem spiegelt sich eben auch bei Hobbes wieder, denn wie Xünzi, so sah auch die „Notwendigkeit“ der Klassenherrschaft. Hobbes zufolge würden die Menschen sich in einem „ständigen Wettkampf“ gegeneinander befinden, der Krieg hervorrufen würde9. Ohne Staatsmacht würde dieser angebliche Krieg andauern und es gäbe darin nichts Ungerechtes. Hobbes schrieb dazu: „Wo keine öffentliche Macht ist, gibt es kein Gesetz, und wo kein Gesetz, keine Ungerechtigkeit. Gewalt und Betrug sind im Krieg die Kardinaltugenden.“10 Laut Hobbes ist kein Eigentum möglich, wo keine staatliche „Zwangsgewalt“ existiert, da ohne sie jeder eines jeden Eigentum beanspruchen kann. Ungerechtigkeit sei die Nichteinhaltung von Verträgen, und die Einhaltung von Verträgen könne eben nur durch die Staatsgewalt garantiert werden11. Versprechen zwischen zwei Parteien seien keine Verträge, da es keine Staatsgewalt gibt, die deren tatsächliche Einhaltung garantiert12. Andererseits bezeichnet Hobbes das „Einhalten von Verträgen“ als ein „Naturgesetz“, weil dies alles verbietet, was dem menschlichen Leben schadet13. Ein solcher Sinnfehler rührt daher, dass er offenbar im Widerspruch gefangen ist zwischen seiner aufgestellten These, dass der Mensch in „freier Natur“ im Dauerkrieg sich befinden würde, aber andererseits seinen Naturinteressen folgt. Hobbes´ Denkrichtung ist also kein geschlossenes System. Ihm zufolge sei das „Verlangen nach immer neuer Macht“ ein „allgemeiner Trieb der Menschheit“, wobei er als Beispiele dafür Könige anführt, die nach innen mit Gesetzen und nach außen mit Kriegen ihre Macht sichern würden14. Damit zeigt sich, dass Hobbes die feudalen Klasseninteressen als „allgemeinmenschliche Eigenschaften“ ansieht. Damit ist er ganz Kind seiner Zeit. Dem steht außerdem seine eigene Aussage entgegen, dass durch das Streben nach Wissen und „friedlichen Künsten“ Menschen dazu geneigt seien sich einer öffentlichen Gewalt zu unterwerfen, die nicht ihre eigene ist15. Das Streben nach Macht (also nach Klasseninteressen der Ausbeuter) wäre in der Tat eine Quelle des „Dauerkrieges“, wenn es tatsächlich eine „allgemeinmenschliche Eigenschaft“ wäre.

Der angebliche „Dauerkrieg“ findet sich aber geschichtlich nicht. Er hätte ohnehin nicht bloß das Überleben der Menschheit gefährdet, sondern die sinnlose Vernichtung oder Ausraubung anderer hätte auch das Leben jedes Einzelnen gefährdet. In der Urgesellschaft wurden keine langen Kriege geführt, weil sie zum einen nicht notwendig waren (es gab auf der Welt genug Platz zum Ausweichen) und andererseits diese nicht lange aufrechterhalten werden konnten, ohne die eigene Lebenshaltung zu gefährden. Krieg bindet nun einmal Arbeitskraft als Destruktivkraft. Der Indianerhäuptling Red Jacket sagte einmal: „Wenn es Streit um Jagdgründe gab, wurde dieser meistens ohne großes Blutvergießen beigelegt.“16 Die Indianer befanden sich bei Ankunft der Siedler noch in der Urgesellschaft. Bei ihnen gingen bewaffnete Konflikte stets nur so weit, wie nötig, um Zugriff auf die Ressourcen der Natur zu bekommen, die sie für die eigene Reproduktion brauchten. Auf der Stufe der Urgesellschaft gab es keinen „totalen Krieg“.

Der Vergleich von Hobbes und Xünzi zeigt, dass sich feudalistische Anschauungen im wesentlichen nicht unterscheiden. Beide lebten in verschiedenen Kulturkreisen und zu verschiedenen Zeiten, sogar auf verschiedenen Entwicklungsstufen der Feudalgesellschaft: Xünzi in dessen Anfängen, Hobbes in dessen absolutistischer Spätphase. Trotzdem sind sie in der Grundauffassung vereint.

Hobbes verkehrt die Abläufe, stellt die Entstehung des Staates dem Aufkommen des Privateigentums voran, weil für ihn der Urzustand des Menschen purer Krieg sei. Das hat aber einen großen Logikfehler: Wie hätte die Menschheit in diesem Zustand überhaupt zusammenfinden können, um diesen zu beenden? Bakunin schrieb einmal zu dieser Thematik: „Für den Menschen ist das Leben außerhalb jeder Gesellschaft und aller menschlicher Einflüsse, die absolute Isolierung – die geistige, moralische und auch der materielle Tod. Die Solidarität ist nicht das Produkt, sondern die Mutter der Individualität, und die menschliche Persönlichkeit kann nur in der menschlichen Gesellschaft entstehen und sich entwickeln.“17 Natürlich nähert sich Bakunin den Bedingungen genauso hypothetisch wie Hobbes, legt keine handfesten Beweise vor. Dennoch ergeben Bakunins Ausführungen mehr Sinn, lassen auf eine Urgesellschaft schließen. Hobbes hingegen erkannte keine Urgesellschaft an, sondern sah in der Klassenherrschaft überhaupt erst eine Gesellschaftsordnung. Darin liegt sein Kernfehler. Dennoch erkannte er an, dass das Privateigentum ohne den Staat nicht existieren kann. Dies erkannte später auch Max Stirner an. Stirner erkannte, dass aus Besitz erst Eigentum wird, wenn es rechtlich geschützt wird durch den Staat18. Aus diesem Grunde sah er den Staat als insgeheimen „alleinigen Eigentümer“19. Dort hört aber bereits die Gemeinsamkeit mit Hobbes auf. Hobbes sah den Staat lediglich als einen Ermöglicher des Eigentums.

Locke

Locke sah das Privateigentum auch nicht als ewig an, aber im Gegensatz zu Hobbes sah er nicht den Staat als Ursprung des Privateigentums und überhaupt einer jeden menschlichen Gesellschaft. Der Ansatz von Locke liegt in einem „Naturgesetz“. „Wenn wir sagen, daß dem Naturgesetz nicht das Eigeninteresse jedes einzelnen Menschen zugrunde liegt, soll das nicht heißen, daß die allgemeinen Regeln menschlicher Gerechtigkeit im Widerspruch zu dem Privatinteresse jedes einzelnen stünden, denn der stärkste Schutz für das persönliche Eigentum jedes Menschen ist ja nun einmal das Naturgesetz, ohne dessen Einhaltung jemand unmöglich Herr über sein Eigentum sein und den eigenen Vorteil wahrnehmen kann.“20 Wie soll aber die Einhaltung des „Naturgesetzes“ gewährleistet sein, sodass kein Mensch durch einen anderen Schaden an Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum erleidet? Durch die menschliche Vernunft21. Die Einhaltung dieses Prinzips wird aus Sicht von Locke dadurch bewirkt, indem jeder Mensch die „Vollstreckung des Naturgesetzes“ in die eigene Hand nimmt22. Jeder, der das „Naturgesetz“ überschreitet, würde den anderen Menschen das Recht dazu geben, ihn dafür zu bestrafen23. Locke war sich darüber bewusst, dass es sich dabei um eine „seltsame Lehre“ handelt und verteidigte sie damit, dass es im Naturzustand keinen Staat gibt, der Gesetze erlassen könnte, sodass die Menschen selbst Verstöße in angemessener Weise bestrafen müssen24. Er berief sich dabei auf die Bibel. Er führte 1. Mose 9, 6 an für die Naturgegebenheit der Todesstrafe: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll um des Menschen willen vergossen werden.“ Als ein Beispiel dafür, dass man sich in der Urzeit bereits der Strafverfolgung durch andere bewusst gewesen sei, führt Locke Kains Ausspruch an aus 1. Mose 4, 14: „So wird mir´s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.“ Das bedeutet im Prinzip, dass Locke Blutrache als legitime Strafe ansah, wenn es keine Staatsgewalt gibt. Locke schreibt nämlich, dass die Menschheit, um ihres eigenen Selbsterhalts willen, „Übertreter des Naturgesetzes“ genauso töten dürfen wie Wildtiere25. Dies ist Teil eines Kriegszustandes unter den Menschen, der im Naturzustand durch die Übertretung des Naturrechts geschieht, aus der Sicht von Locke. Um diesen Kriegszustand zu vermeiden, würden sich die Menschen in Gesellschaften zusammenschließen26. Diese übernimmt die politische Macht, welche Locke so definiert: „Unter politischer Macht verstehe ich ein Recht auf Erlaß von Gesetzen unter Androhung der Todesstrafe (und folglich auch aller minderen Strafen) zur Regelung und Erhaltung des Eigentums sowie zur Anwendung der staatlichen Gewalt im Interesse der Vollstreckung solcher Gesetze und der Verteidigung des Gemeinwesens gegen Unrecht von außen, und all dies einzig zum gemeinen Wohl.“27 Das heißt, dass das Recht zu strafen auf die Gesellschaft übergegangen ist, um das Privateigentum zu zementieren. Locke sah sogar den Hauptauftrag des Staates im Schutz des Eigentums28. Das erklärt Lockes Sicht auf den Staat als Hüter des Privateigentums, aber noch nicht, wie dieses aus seiner Sicht überhaupt zustande gekommen ist. Dazu ist eine anthropologische Prämisse nötig.

Locke geht von einer natürlichen Freiheit des Menschen aus29. Entsprechend bezeichnete er Sklaverei als einen „fortdauernden Kriegszustand“ zwischen einem Sieger und einem Besiegten30. Aus der Sicht von Locke hat jeder Mensch nämlich ein Eigentum an seiner Person, auf das niemand als die Person selbst ein Anrecht habe31. Von dieser anthropologischen Prämisse heraus entwickelt Locke seine Theorie von der Entstehung des Privateigentums. Eine weitere Prämisse, von der er ausgeht, ist, dass die ganze Welt den Menschen in ihrer Gesamtheit von Gott übereignet worden sei32. Jedem also standen anfangs alle Naturgüter der Welt zur Verfügung. Diese beiden Prämissen bilden die Grundlage von Lockes Schlussfolgerung, dass das Eigentum durch die hinzugefügte Arbeit des einzelnen Menschen begründet wird. Er schrieb: „Die Arbeit, die mein war und sie dem vorgefundenen Grundzustand entrissen hat, hat mein Eigentumsrecht auf sie fest begründet.“33 Dies betrifft auch das Land, das jemand bewirtschaftet34. Durch gesetzliche Regelungen gäbe es aber mittlerweile auch öffentliches Land, das der Einzelne nicht einfach ohne vorherige Genehmigung in Besitz nehmen kann35. Das Privateigentum wurde rechtlich verfestigt. Der Mensch habe die Bedingungen des Eigentums in sich getragen36, was bedeutet, dass Locke das Eigentum nicht als natürlich ansah. „So war am Anfang die ganze Welt ein Amerika, und zwar damals mehr noch als heute, weil es so etwas wie Geld nirgends bekannt war. Wenn es aber etwas gibt, das für die Nachbarn dem Verwendungszweck und dem Wert des Geldes entspricht, so wird derselbe Mensch unverzüglich darangehen, seinen Besitz zu vergrößern.“37, schrieb Locke. Damit schneidet Locke das Thema an, dass mit der Begründung des Privateigentums auch die Entwicklung der Warenproduktion einhergeht. Geld sei in Gebrauch gekommen, weil man es aufbewahren könne, im Gegensatz zu den vergänglichen Gebrauchsgütern, die damit eingekauft werden38. Dennoch verstand Locke offenbar nicht, woher der Geldwert kommt, obwohl er anerkennt, dass Eigentum auf Arbeit begründet worden sei ursprünglich. Er schreibt: „Gold, Silber und Diamanten sind Dinge, denen Einbildung und Übereinkunft einen Wert beigemessen haben, der ihren wirklichen Wert und ihre Notwendigkeit für die Erhaltung des Lebens übersteigt.“39 Er war scheinbar nicht in der Lage daran zu denken, dass der Geldwert mit der investierten Arbeitszeit im Zusammenhang steht. Das zeigt, dass Lockes Theorie zwar in groben Zügen, aber nicht in Details ausgearbeitet worden ist. Dies sollte erst die klassische bürgerliche Ökonomie mit sich bringen. Dennoch hätte Locke zumindest aus seiner Theorie der Entstehung des Privateigentums aus der vom Menschen angeeigneten Natur heraus Schlussfolgerungen ziehen können, die die Eigentumslosen als gesellschaftliches und nicht individuelles Problem ansehen. Dem war aber nicht so.

Obwohl Locke verstand wie das Privateigentum zustande gekommen ist, verfasste er 1697 ein Traktat, das vorschlug, Arbeitslose zu kriminalisieren40. Dieses Traktat bildete den Vorgeschmack für Großbritanniens Verschickung von Arbeitslosen in seine Kolonien. Auch an Lockes Beispiel zeigt sich wieder einmal, dass Wissen allein noch zu keinem besseren Menschen macht, sondern die klassenpolitische Überzeugung. Locke als Begründer des Liberalismus legte diesem schon dieses konsequente Einstehen für bürgerliche Interessen in die Wiege, auch wenn es wissenschaftlichen Fakten widerspricht. Bei ihm war kein Platz für humanistischen Idealismus.

Rousseau

Rousseaus Ansatz ist dem von Locke ähnlich, aber weitaus verfeinerter. Auch er erkennt an, dass erst das Privateigentum sich entwickelte und danach der Staat. Der „Diskurs über die Ungleichheit unter den Menschen“ ist Rousseaus Hauptwerk zu diesem Thema.

Rousseaus anthropologische Prämisse ist, dass der Mensch im Naturzustand weder gut noch böse sei. Er schrieb: Es scheint zunächst so, dass die Menschen in jenem Zustand – da sie untereinander weder irgendeine Art moralischer Beziehung noch erkannter Pflichten hatten – weder gut noch böse sein konnten und weder Laster noch Tugenden hatten.“41 Aus seiner Sicht könnte man vereinfacht sagen, dass die Wilden nicht böse sein können, weil sie nicht einmal wissen, was gut ist42. Das hängt am fehlenden Moralverständnis. Rousseau widerspricht deshalb auch entschieden Hobbes, und er schrieb: Schließen wir vor allem nicht mit Hobbes, daß der Mensch, weil er keine Vorstellung von der Güte hat, von Natur aus böse sei; daß er lasterhaft sei, da er die Tugend nicht kennt; daß er seinen Mitmenschen Dienste, die er ihnen nicht zu schulden glaubt, stets verweigere; noch, daß er sich, vermöge des Rechts, welches er sich mit Grund in bezug auf die Dinge beilegt, denen er bedarf, törichterweise einbilde, der alleinige Eigentümer des ganzen Universums zu sein. Hobbes hat den Fehler aller modernen Definitionen des Naturrechts sehr gut gesehen, aber die Folgerungen, die er aus seiner eigenen Definition zieht, zeigen, daß er sie in einem Sinn versteht, der nicht minder falsch ist. Beim Nachdenken über die Prinzipien, die er aufstellt, hätte dieser Autor sagen müssen, daß, da der Naturzustand derjenige Zustand ist, in dem die Sorge um unsere Erhaltung der Erhaltung anderer am wenigsten abträglich ist, jener Zustand folglich für den Frieden am geeignetsten und für das Menschengeschlecht am angemessensten war. Er sagt genau das Gegenteil, weil er in die Sorge um die Erhaltung beim wilden Menschen unangebrachterweise das Bedürfnis hineingenommen hat, eine Vielzahl von Leidenschaften zu befriedigen, die das Werk der Gesellschaft sind und die die Gesetze notwendig gemacht haben.“43 Rousseau verweist44 darauf, dass es eine Maxime der Gerechtigkeit gebe, die er der Bibel entnimmt: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!“45 Diese Maxime sei nützliches, als die Maxime, nur für sich selbst zu sorgen unter dem geringstmöglichen Schaden für andere. Rousseau zufolge sei es im Naturzustand auch unmöglich gewesen, einen anderen Menschen zu knechten, weil die Knechtung erst darauf beruhen kann, dass einer nicht ohne den anderen auskommen kann46. Rousseau erkannte keinen „natürlichen Drang zur Knechtschaft“ an, die aus seiner Sicht von einigen Politikern vertreten wird und führte dafür ein Zitat des Plinius an47.

Es gab in der Geschichte Beispiele der Behauptung, dass Menschen sich freiwillig ausbeuten lassen würden, sich sogar selbst verschenken würden in die Sklaverei. So zum Beispiel Cicero. Cicero behauptete, dass auch die Sklaven ein Interesse daran hätten, den Sklavenhalterstaat aufrechtzuerhalten48. Aus Sicht von Rousseau ist ein solcher Gedanke aber absurd. Rousseau schrieb: Die Behauptung, ein Mensch verschenke sich, stellt etwas Absurdes und Unbegreifliches dar; eine solche Handlung ist allein deswegen ungesetzlich und nichtig, weil derjenige, der dies tut, nicht bei Verstand ist.“49 Mit dieser Sichtweise war er unter den bürgerlichen Theoretikern nicht völlig allein, wie Locke belegt.

Apropos Locke: Rousseau verwendet an einer Stelle ein Axiom von Locke, dass nämlich kein Unrecht existieren kann ohne Eigentum50. Über die Entstehung des Eigentums schrieb Rousseau eine Anekdote: „Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ´Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemanden.´“51 Er merkte aber selbst an, dass dies wahrscheinlich so nicht passiert ist und stattdessen aus einem längeren Prozess entstanden ist. Wie auch Locke ging Rousseau davon aus, dass das Privateigentum am Grund und Boden sich daraus entwickelt hätte, dass ein Bauer über die Zeit immer wieder den selben Acker bestellte52. Rousseau sah einen Zusammenhang zwischen der Verfestigung der Eigentums und der Herausbildung der Unterscheidung der Familien53. Die Familien bezeichnete er deshalb als „kleine Gesellschaften“54. Außerdem erkannte Rousseau, dass sich das Privateigentum über den ganzen Erdball ausgebreitet hat, sodass sich dem bald keiner meiner entziehen konnte55. Er erkennt also keine „Aussteiger aus der Zivilisation“ an, weil mittlerweile alles einen Eigentümer hat.

Rousseau selbst war ein bürgerlicher Theoretiker, aber er griff die Beseitigung der bürgerlichen Ordnung schon in Ansätzen vorweg. Nicht nur in seiner Sicht auf die Entstehung des Eigentums. Er schrieb in seinen vorbereitenden Fragmenten zum „Diskurs über die Ungleichheit“: „Denn die Reichen und all jene, die mit ihrer Lage zufrieden sind, haben großes Interesse daran, daß die Dinge bleiben, wie sie sind, während die Armen und Elenden bei den Revolutionen nur gewinnen können.“56 Dem ist bis in die heutige kapitalistische Gesellschaft so. In den 50er Jahren gab es den Witz, dass die SPD den Arbeitern ihre Villen am Gardasee wegnehmen wollte. Dieser Witz spielt natürlich darauf an, dass, da die Arbeiter kein Privateigentum besitzen, lediglich ihr persönliches Eigentum am Leib und im Haushalt, sie nur gewinnen können. Wir können nur gewinnen, wir haben nichts zu verlieren.

Abschließendes

Wie man ersehen kann, haben alle drei klassischen bürgerlichen Theoretiker ihre Vorzüge und Mängel im Bezug auf die Entstehung des Privateigentums. Sie werden alle dadurch geeint, dass dieses nicht ewigen Bestand hat. Locke und Rousseau nehmen rational an, dass es einen Zustand gegeben haben muss, aus dem sich das Privateigentum aus der Gesellschaft heraus entwickelte. Bei Hobbes kam dies, weil die Menschheit angeblich vorher sich gegenseitig bekriegt hätte.

Einen Zustand, in dem jeder gegen jeden gekämpft hätte, existierte nicht. Das belegt die urkommunistische Gesellschaftsordnung. Sie findet sich beispielsweise noch bei einigen Amazonasstämmen. Engels zeigte in seinem „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“, wie sich die urkommunistische Gesellschaft entwickelte und in der Klassendiktatur der Sklavenhalter mündete: Nämlich, als sich das Privateigentum an Produktionsmitteln herausbildete.

Es ist nicht nur so, dass der Marxismus die Existenz der Klassendiktatur anerkennt. Sogar einer der Väter des Wirtschaftsliberalismus, Adam Smith, erkannte: „Die bürgerliche Regierung ist, insofern sie zur Sicherung des Eigentums eingeführt wurde, in der Tat zur Verteidigung des Reichen gegen den Armen oder dessen, der ein Eigentum hat, gegen den, der keines hat, eingeführt worden.“57 Der bürgerliche Staat ist eben kein „neutraler Vermittler“, wie er heutzutage dargestellt wird von bürgerlicher Seite. Die fortschrittliche Bourgeoisie erkannte das einst noch an. Hobbes, Locke und Rousseau drücken sich nicht so konkret aus, wie Smith. Aber sie erkennen an, dass das Privateigentum nicht ewig existiert und der Staat als Hauptaufgabe hat, es zu schützen.

Menzius sagte einmal: Wenn man sich ausgebreitetes Wissen erworben und ausführlich alles besprochen hat: dann muß man dahin kommen, es kurz und bündig auszudrücken.“58 Um den wesentlichen Fehler der einzelnen bürgerlichen Theoretiker kurzzufassen: Hobbes sah im Staat den Ursprung des Privateigentums, weil es ansonsten durch den „Dauerkrieg“ unmöglich wäre; Locke sah in der Arbeitsanwendung des Menschen auf die Natur den Ursprung des Privateigentums; Rousseau sah, dass sich das Privateigentum durch die Arbeitsanwendung auf die Natur entstanden ist, aber in der Gegenwart zum Problem geworden ist.

1 Vgl. Thomas Hobbes „Leviathan“, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1978, S. 145.

2 Vgl. Ebenda, S. 106.

3 Kapitel 23 In: Xunzi „The Complete Text“, Princeton University Press, Princeton 2016, S. 248, Englisch.

4 Vgl. Kapitel 10: In: Ebenda, S. 85, Englisch.

5 Vgl. Ebenda, S. 251, Englisch.

6 Kapitel 19 In: Ebenda, S. 201, Englisch.

7 Siehe: Kapitel 9 In: Ebenda, S. 71, Englisch.

8 Vgl. Kapitel 6 In: Ebenda, S. 40, Englisch.

9 Vgl. Thomas Hobbes „Leviathan“, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1978, S. 147.

10 Ebenda, S. 109.

11 Vgl. Ebenda, S. 122/123.

12 Vgl. Ebenda, S. 124.

13 Vgl. Ebenda, S. 125.

14 Vgl. Ebenda, S. 84.

15 Vgl. Ebenda, S. 85.

16 Rede von Häuptling Red Jacket (Sommer 1805) In: „Die Reden der großen Indianerhäuptlinge“, Anaconda Verlag, Köln 2012, S. 11.

17 „Die vollständige Ausbildung“ (Juli/August 1869) In: Michail Bakunin „Gott und der Staat und andere Schriften“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 49.

18 Vgl. Max Stirner „Der Einzige und sein Eigentum und andere Schriften“, Carl Hanser Verlag, München 1968, S. 149.

19 Ebenda, S. 150.

20 „Liegt dem Naturgesetz das Eigeninteresse jedes Menschen zugrunde? Antwort: Nein“ (1664) In: John Locke „Bürgerliche Gesellschaft und Staatsgewalt“, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1980, S. 87.

21 Vgl. „Abhandlungen über den Staat“ (1679-1689) In: Ebenda, S. 100.

22 Vgl. Ebenda, S. 101.

23 Vgl. Ebenda, S. 102.

24 Vgl. Ebenda, S. 103/104.

25 Vgl. Ebenda, S. 108.

26 Vgl. Ebenda, S. 111.

27 Ebenda, S. 98.

28 Siehe: Ebenda, S. 183.

29 Vgl. Ebenda, S. 113.

30 Vgl. Ebenda, S. 114.

31 Vgl. Ebenda, S. 116.

32 Vgl. Ebenda, S. 115.

33 Ebenda, S. 117.

34 Vgl. Ebenda, S. 119.

35 Siehe: Ebenda, S. 120.

36 Vgl. Ebenda, S. 127.

37 Ebenda, S. 130.

38 Vgl. Ebenda, S. 129.

39 Ebenda, S. 128.

40 Siehe: „Plan zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit“ (1697) In: Ebenda, S. 271 ff.

41 Jean-Jacques Rousseau „Diskurs über die Ungleichheit“, Ferdinand Schöningh, Paderborn 1984, S. 135.

42 Vgl. Ebenda, S. 141.

43 Ebenda, S. 135 und 137.

44 Siehe: Ebenda, S. 151.

45 Matthäus 7, 12.

46 Vgl. Jean-Jacques Rousseau „Diskurs über die Ungleichheit“, Ferdinand Schöningh, Paderborn 1984, S. 167.

47 Vgl. Ebenda, S. 229.

48 Vgl. „Vierte Rede“ (5. Dezember 63 v. Chr.) In: Marcus Tullius Cicero „Vier Reden gegen Catilina“, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1970, S. 55.

49 Jean-Jacques Rousseau „Der Gesellschaftsvertrag“, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1984, S. 43.

50 Vgl. Jean-Jacques Rousseau „Diskurs über die Ungleichheit“, Ferdinand Schöningh, Paderborn 1984, S. 191.

51 Ebenda, S. 173.

52 Vgl. Ebenda, S. 203.

53 Vgl. Ebenda, S. 181.

54 Vgl. Ebenda, S. 183.

55 Vgl. Ebenda, S. 219.

56 Ebenda, S. 413.

57 Adam Smith „Reichtum der Nationen“, Voltmedia, Paderborn o. J., S. 735.

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