Dreifaches Kontrollieren

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Den Titelbegriff mag man als einen Abklatsch des Dreifachen Vertretens von Jiang Zemin1 ansehen. Dem ist aber, bis auf die terminologische Zusammensetzung, nicht so. Es ist ein einfach zu merkendes Schema für ein bedeutsames Thema in der Arbeit der kommunistischen Bewegung im Allgemeinen. Unsere Bewegung braucht ein System der gegenseitigen Kontrolle, das auf der einen Seite nicht in Paranoia endet, aber auf der anderen Seite nicht in Formalismus, der in der Praxis nicht umgesetzt wird. Dafür benötigt man ein paar Grundprinzipien, die es in der praktischen Arbeit zu beachten gilt.

Eines davon ist das uns allen bekannte Prinzip der Kritik und Selbstkritik. Wozu ist dieses Prinzip so wichtig?

Walter Ulbricht lehrt über den Sinn der Selbstkritik: „Die Selbstkritik muß als ein Mittel angewandt werden, um die entsprechend der Veränderung der gesamten Situation notwendige Wendung der Taktik der Partei zum Gemeingut der Massen der Parteimitglieder und der sympathisierenden Arbeiter zu machen.“2

Über die Notwendigkeit der Selbstkritik in der Parteiarbeit lehrt Ulbricht: Die Selbstkritik muss als ein Mittel zur Überwindung der Passivität und der opportunistischen Einstellungen in der Partei angewendet werden, wobei immer zu berücksichtigen ist, daß viele Genossen opportunistische Auffassungen in verschiedenen Fragen vertreten, ohne sich dessen selbst bewußt zu sein. Deshalb muß die Selbstkritik konkret und positiv sein, das heißt, es muß an die konkreten Erfahrungen im Tätigkeitsbereich der Genossen angeknüpft und gesagt werden, wie die Aufgaben hätten durchgeführt werden müssen und in Zukunft durchgeführt werden sollen.“3

Und über die Notwendigkeit der Kritik von unten schrieb Ulbricht: „Die Kritik der Arbeiter, die den Zweck hat, der Partei zu helfen, Fehler zu vermeiden und die Aufgaben noch besser als bisher zu erfüllen, muß in weitestem Maße gefördert werden; die fraktions- oder gruppenmäßige Kritik bestimmter Richtungen muß ebenso rücksichtslos bekämpft werden. Durch die Vorstöße der Rechten und Versöhnler darf sich die Partei nicht hindern lassen, jene gesunde Selbstkritik zu fördern, die ein wichtiges Mittel zur Überwindung der opportunistischen Gefahr in der Partei ist.“4

Viele Passagen aus einem Aufsatz von Walter Ulbricht, mag man meinen. Aber sie sprechen aus den Erfahrungen der Praxis der KPD des Jahres 1928. In einer Diskussion im Politbüro über die falschen Anschauungen von Genossen, unter anderem aus Thüringen, sagte Ulbricht: Gerade die Entwicklung der Selbstkritik und der offene und konsequente Kampf gegen jene Genossen, die ein System falscher Auffassungen entwickeln, gibt uns die Möglichkeit, auch die Entwicklung der eigenen Gedanken zu fördern.“5 Es ist also kein Problem, wenn in Diskussionen, die Kritik und Selbstkritik fördern sollen, auch falsche Anschauungen geäußert werden, denn als Replik darauf kann man die Fehler analysieren und richtigstellen. Das schafft einen gewissen Dialog auf der Grundlage des antagonistischen Widerspruchs zwischen richtigen und falschen Anschauungen. Entweder siegt die objektive Wahrheit und somit das Licht der Wissenschaftlichkeit, oder es siegen falsche Anschauungen und man endet im Dunkel der Esoterik.

Bei der Kritik und Selbstkritik gibt es zusammengefasst also drei Arten:

1. Selbstkritik

2. Gegenseitige Kritik im Kollektiv

3. Kritik durch die Massen

Um diese Methoden der Kritik richtig anzuwenden, bedarf es nicht des Geschwätzes ins Leere, sondern fundierte Kritik auf Faktengrundlage. Dafür werden Informationen benötigt, sowohl der Empfang, als auch die Verbreitung von diesen. Bei Informationen ist zu differenzieren:

1. Lokale und regionale Medien

2. Nationale Medien

3. Internationale Medien

Hierbei sei der Begriff des Mediums im weitesten Sinne gefasst, also nicht bloß Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet-Podcasts, sondern auch Mundpropaganda und weitere Formen der medialen Informationsübermittlung. Wozu gilt es diese drei Punkte zu unterscheiden? Um zu unterscheiden, auf welcher Ebene man sich bewegt. Diese Ebenen sind territoriale Gemarkungen, ein umgrenztes Gebiet. Es gibt Informationen, die bloß lokal und regional von Interesse sind; andere sind wiederum lediglich von nationaler Bedeutung; und wieder andere sind von internationaler Bedeutung. Wozu ist der Unterschied so wichtig? Weil man bei regionalen Ereignissen nicht davon ausgehen kann, dass dieses dem Gegenüber bekannt ist, wenn man es als Beispiel anführt, es sei denn, dieser kommt aus der gleichen Gegend, wie man selbst. Bei ausländischen Genossen kann man nicht davon ausgehen, dass sie mit der Geschichte und dem Erfahrungsschatz der deutschen Arbeiterklasse so tiefgründig vertraut ist, wie wir. Bei internationalen Ereignissen dürfte es jedem, der noch so bürgerliche Nachrichten verfolgt, ein Begriff sein. Natürlich kann man immer mal auf jemanden treffen, der sich gar nicht informiert, aber auch solche Personen werden hier und dort etwas aufschnappen. Wozu ist das bei Kritik und Selbstkritik wichtig? Um zu verstehen, an wen man sich auf welche Weise wendet. Wenn man weiß, dass das Gegenüber einen Sachverhalt höchstwahrscheinlich nicht weiß, so muss man Hintergründe dazu liefern, sei es auch nur als kurzer Abriss. Das gegenüber braucht einen Ansatzpunkt, um nachvollziehen zu können, wovon die Rede ist.

Weil das nicht genügt, um kritisch zu überprüfen muss man zwischen folgenden Kategorien unterscheiden:

1. Primärquellen

2. Sekundärquellen

3. Tertiärquellen

Primärquellen sind Fakten, Sekundärquellen sind Interpretationen und Behauptungen, ob sie stimmen, oder nicht, und Tertiärquellen sind Vergleiche, sowie Zusammenfassungen von Interpretationen und Behauptungen. Der Trick antikommunistischer Schreiberlinge, wie Grover Furr nachwies, ist es, möglich viele Sekundärquellen zu zitieren zu einem Thema, also Beschuldigung und Behauptungen zu übernehmen, ungeachtete ihrer Faktengrundlage.

Natürlich lässt sich das in der Praxis nicht immer so feinsäuberlich trennen, wie in diesem Schema. Dennoch werden einem diese drei Elemente begegnen, wenn auch manchmal durchmischt. Sekundär- und Tertiärquellen zu einem bestimmten Thema sind beispielsweise Primärquellen für die Ansichten und Interessen des Autors zu diesem Thema. Bei bewussten Fälschungen zum Beispiel erhält die Quelle dadurch diesen Doppelcharakter. Es kommt also bei der Auswertung einer Quelle auch auf den Kontext an, auf das, was man spezifisch sucht und was die Quelle dazu darbietet. Dieser Kontext gründet sich auf einem gewissen Aspekt der gesellschaftlichen Praxis, der untersucht werden soll. Nur wenn man diese Kategorien unterscheiden kann, ist eine faktenbasierte Diskussion möglich. Wenn nicht, so wird es eine Tirade an Behauptungen und Beschuldigungen ohne Tatsachengrundlage.

Opportunisten versuchen natürlich eine faktenbasierte Diskussion zu verhindern und hoffen auf eine Art „Kompromiss zwischen richtig und falsch“. Ulbricht nahm dagegen klar Position: „Die Versöhnler versuchen systematisch, die Differenzen über den innerparteilichen und politischen Kurs zu verschleiern. Sie wollen jetzt der Diskussion über die Streitfragen möglichst aus dem Wege gehen und verlangen deshalb verschiedenfach, daß die politischen Aufgaben zuerst in den Versammlungen behandelt werden, in der Erwartung, daß dann nicht mehr viel Zeit übrig bleibt zur Erörterung der innerparteilichen Fragen.“6 Ein antagonistischer Widerspruch lässt sich nicht lösen, ohne dass die eine Seite des Widerspruchs die andere vernichtet. Ein „Kompromiss“ bedeutet in jedem Falle die Anerkennung der „Gleichwertigkeit von richtig und falsch“, was de facto auf eine Leugnung der objektiven Wahrheit hinausläuft, weil sie zu „einer Ansicht von vielen“ degradiert wird. Das ersetzt den Marxismus praktisch durch Liberalismus, hauptsächlich diesen Aspekt: „Gegen falsche Auffassungen, die man hört, keine Einwände machen und sogar über Äußerungen von Konterrevolutionären nicht berichten, sondern alles ruhig mit anhören und so tun, als ob nichts geschehen wäre – das ist die sechste Erscheinungsform.“7 Eine solche Erscheinung erodiert massiv die ideologische Standfestigkeit, weshalb sie unter allen Umständen zu bekämpfen ist. Auch deshalb sind fundierte Kritik und Selbstkritik und die daraus folgenden Diskussionen so essentiell wichtig.

Zusammengefasst besteht das dreifache Kontrollieren also aus: 1. Der Anwendung der Kritik und Selbstkritik auf allen Bereichen; 2. Der breiten Suche nach Informationen; 3. Der Charakterisierung und Überprüfung der Quellen. Diese Punkte sind keine Neuerfindung, sie sind bloß eine Zusammenfassung der korrekten praktischen Erfahrungen der wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxismus. Diese Punkte ermöglichen eine fundierte Recherche, Überprüfung und Diskussion. Wenn man diesen Punkten zuwiderhandelt, so ist es schwieriger oder gar unmöglich die richtigen Schlüsse aus Praxiserfahrungen zu ziehen. Lenin lehrt: „Um einen Gegenstand wirklich zu kennen, muß man alle seine Seiten, alle Zusammenhänge und ´Vermittelungen´ erfassen und erforschen. Wir werden das niemals vollständig erreichen, die Förderung der Allseitigkeit wird uns aber vor Fehlern und vor Erstarrung bewahren.“8 Wir müssen also nach Vollständigkeit streben, bei Fehlern nach der Ursache suchen und die Ergebnisse diskutieren. Man muß aus gegensätzlichen Meinungen durch eine sachliche Diskussion den richtigen Standpunkt herausschälen und kann so manch strittige Frage lösen.“9, wie Bruno Leuschner einst sagte. Nicht prinzipienlos diskutieren, sondern fundiert, sodass nur Fakten Geltung besitzen und kein Geschwätz. Nur so ist wirkliche Kontrolle möglich, auf Grundlage der objektiven Wahrheit, statt des bloßem „längeren Hebels“ innerhalb einer Organisation. Vor der Wahrheit ist jeder gleichberechtigt, sie anerkennt keine Autoritäten, sondern lediglich Tatsachen.

1https://archive.org/details/JiangZeminThreeRepresents/mode/2up (Englisch) Es handelt sich um eine im Eigengehalt schwammige revisionistische Theorie, die praktisch bloß Dengismus (offiziell: „Deng-Xiaoping-Theorie“) bedeutet, den Jiang Zemin nach Deng Hsiaopings Tod fortgeführt hat. Jiang Zemin verkündete diese Theorie in einer Rede vom 25. Februar 2000.

2Wozu brauchen wir Selbstkritik?“ (Januar 1929) In: Walter Ulbricht „Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“, Bd. 1, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 373.

3Ebenda, S. 374.

4Ebenda, S. 376.

5Walter Ulbrichts Rede auf der Tagung des Politbüros des ZK der KPD (23. Juni 1928) In: „Luxemburg oder StalinGeschichte des Kommunismus und Linkssozialismus“, Bd. IV, Karl Dietz Verlag, Berlin 2003, Dokument 62 auf der beiliegenden CD.

6Walter Ulbrichts Brief an das EKKI (27. Oktober 1928) In: „Luxemburg oder Stalin“ – „Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus“, Bd. IV, Karl Dietz Verlag, Berlin 2003, Dokument 101 auf der beiliegenden CD.

7Gegen den Liberalismus“ (7. September 1937) In: Mao Tse-tung „Ausgewählte Werke“, Bd. II, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1968, S. 28.

8Noch einmal über die Gewerkschaften, die gegenwärtige Lage und die Fehler der Genossen Trotzki und Bucharin“ (25. Januar 1921) In: W. I. Lenin „Werke“, Bd. 32, Dietz Verlag, Berlin 1982, S. 85.

9Bazillus gefährdet Zweijahrplan“ (März 1949) In: Bruno Leuschner „Ökonomie und Klassenkampf“, Dietz Verlag, Berlin 1984, S. 90.

 

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