Eine Antithese ist noch keine Ideologie – Warum wir nicht nur eine Gegenbewegung sein dürfen

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Ein Problem, das oft zu beobachten ist: Allzu viele Menschen definieren sich politisch darüber, was sie ablehnen, aber nicht darüber, was sie unterstützen. Antideutsche sind dabei das wohl augenscheinlichste und zugleich absurdeste Beispiel. Sie geben vor „gegen Faschismus“ zu sein, aber unterstützen gleichzeitig den US-Imperialismus, der für die Etablierung von einem Dutzend faschistischer Regime in seinen Kolonien und Halbkolonien verantwortlich ist, sowie den israelischen Faschismus, der als unantastbares Fetisch gilt. Jedes ihrer Statements ist Mentalgymnastik auf Profiniveau.

Auch bei den Antiimperialisten findet man nicht bloß Leute, mit denen wir uns verbünden können auf lange Sicht. Natürlich haben diese Recht, wenn sie zum Beispiel „Kein Krieg mit Russland!“ oder „Hände weg vom Iran!“ sich auf Transparente schreiben. Das deckt sich mit den Interessen der Werktätigen. Die Hintergründe für diese Aussagen unterscheiden sich jedoch. Bei uns Marxisten geht es beim Antiimperialismus primär darum, zum Sozialismus zu gelangen, dass also in den Kolonien und Halbkolonien die Werktätigen eine sozialistische Revolution machen, sekundär, dass sie sich wenigstens aus dem Einflussbereich ausländischer Imperialisten herauslösen und tertiär, dass sie zwar im Einflussbereich von ausländischen Imperialisten stehen, aber wenigstens nicht vom US-Imperialismus, weil das seine globale Dominanz schwächt. Wir reden zum Beispiel nicht Venezuela als „sozialistisch“ schön, wie es manche Antiimperialisten tun. Venezuela behauptet nicht einmal selbst, den Sozialismus erreicht zu haben oder baldig zu erreichen1. Einige der Antiimperialisten, die sich als „Sozialisten“ oder gar als „Marxisten“ ansehen, aber praktisch keine sind, sondern unter anderem Dengisten sind, behaupten dies hingegen schon. Für diese ist der Begriff „Sozialismus“ inhaltsleer und bedeutet praktisch nur „Ich mag dieses Regime!“. Gleiches gilt für die Anhänger von Gaddafi-Libyen, Assad-Syrien und sogar dem Irak unter Saddam Hussein, der Kommunisten blutig verfolgen ließ.

Der Begriff Antirevisionismus hat seine Berechtigung, aber auch dieser wird allzu oft für Etikettenschwindel verwendet. Was ist Antirevisionismus eigentlich? Bloß unverfälschter Marxismus. Dadurch wird natürlich dieser Begriff nicht völlig überflüssig Anbetracht des Aufkommens des Revisionismus in fast allen sozialistischen Ländern,. Jedoch mag er von manchen als Synonym für Dogmatismus verwendet werden, wie man bei den Hoxhaisten ersehen kann, für welche dieser Terminus ein Identifikationsmerkmal bedeutet. Das ist jedoch wiederum eine Entwertung des Begriffs, der somit einen negativen Anklang erhält, indem Klischees der Revisionisten bedient werden. Ein Beispiel war die Behauptung der Partei der Arbeit Albaniens, der Revisionismus in den sozialistischen Ländern sei durch die Vereinigung mit dem linken Flügel der sozialdemokratischen Parteien, die allgemein bis in die 50er Jahre noch einen marxistischen Anspruch hatten, dem sie in keinster Weise gerecht wurden, aufgetreten sei2. Das ist ein Dogma das nicht stimmig ist. Es erklärt nicht, warum dann ausgerechnet langjährige Mitglieder der kommunistischen Parteien, wie Chruschtschow, Gomulka, Zaisser, Schirdewan, Shiwkow, Kádár und weitere, Spitzenköpfe des Revisionismus gewesen waren.

Antirassismus wird nicht nur für einen Kampf gegen Diskriminierung als Begriff verwendet, sondern auch von Identitätspolitikern missbraucht. Diese sprechen von „White Privilege“, statt davon, dass die Schwarzen in den USA zum Beispiel diskriminiert werden. Privileg und Diskriminierung sind nicht dasselbe und eine Verwechslung, als würde man versuchen die marxistische Überproduktionstheorie mit der keynesianistischen Unterkonsumtionstheorie gleichzusetzen. Weiße werden behandelt, wie es die Gesetze vorsehen in den USA, bei Schwarzen ist das eher glücksabhängig. Dennoch ist die Diskriminierung rechtlich illegal, es ist nicht mehr wie in der Zeit der Sklaverei. Und auch damals konnte man schwer von einem „weißen Privileg“ reden, denn auch wenn weiße Sklavenbesitzer sein konnten, so war es die Masse dennoch nicht. Privilegien hat letztendlich nur die herrschende Klasse und keine „Rasse“.

Mit dem Feminismus ist der Begriff Antisexismus verbunden. Proletarischer Feminismus setzt sich für den Sozialismus ein, weil er den Frauen erst vollständige ökonomische, politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung garantieren kann. Aber es gibt auch den bürgerlichen Feminismus und dieser bildet in der heutigen Zeit ein Übergewicht. Das Problem des bürgerlichen Feminismus ist es, dass dieser versucht, innerhalb des Kapitalismus Ziele zu erreichen und diesen eben nicht als Grundproblem ansieht. Das zeigt sich nicht bloß darin, dass die formalrechtliche Gleichberechtigung nicht mit der tatsächlichen einhergeht und sich die Situation zwar verbessert hat über die Jahrzehnte, aber nicht völlig anglich, sondern auch darin, dass Forderungen aufkommen, wie zum Beispiel, dass die Hälfte der Unternehmensvorstände mit Frauen besetzt sein sollten. Eine Frauenquote eben. Das ist bloß Identitätspolitik mit Bezug auf Frauen.

Der Begriff Antifaschismus ist für die breite Bevölkerung durch das Aufkommen der Antideutschen und Anarchisten ziemlich leer geworden. Es wird darunter nicht mehr primär verstanden, die Ursachen des Faschismus zu bekämpfen, den Kapitalismus, sondern bloße Empörung über einige Aussagen von Politikern oder gewissen Ereignissen, ob tatsächlich faschistisch motiviert oder bloß als Schimpfbegriff. Damit verbunden ist die Leere des Begriffs Antikapitalismus in politischen Debatten außerhalb unseres marxistischen „Kiez“. Anarchisten dominieren das Feld und haben oftmals entweder keine Konzepte oder eher eine Utopie der kleinen Warenproduktion, also Frühkapitalismus, im Sinn.

Was wir benötigen, ist, primär auf positiv formulierte Statements zu setzen, also auszusprechen, wofür wir sind, nicht, wogegen wir alles Stellung beziehen. Wenn man sagt, dass man für Planwirtschaft und Volkseigentum ist, für die Diktatur des Proletariats, dann ist damit tausend mal mehr gesagt, als damit, dass man antikapitalistisch und antifaschistisch sei. Natürlich kann man das nicht so einfach auf Broschüren drucken wie „Es lebe die Diktatur des Proletariats!“, das wäre die abstraktest mögliche Agitation, welche bei den Massen, die mit den marxistischen Termini und der marxistischen Theorie überhaupt nicht vertraut ist, kein Gehör finden wird, weil sie nicht begriffen wird. Abgesehen davon, dass das angeführte Beispiel ein sehr plumpes ist. Man muss Stück um Stück den Massen erklären, welche Konzeption wir zu Wirtschaft, Politik und Gesellschaft haben und nicht, gegen welche Einzelteile der kapitalistischen Verhältnisse wir alles sind. Das Verhältnis ist wie zwischen einem kleinen Mosaikstein und einem Mosaikbild: Ein Negativstatement ist bloß ein Mosaikstein, ein positives Statement ist jedoch ein ganzes Mosaikbild. Ein positives Statement beinhaltet mehrere negative Statements zu Optionen, die in einem antagonistischen Widerspruch dazu stehen. Eins teilt sich in zwei. Ein Statement für den Sozialismus teilt sich in eine Bejahung der Herrschaft des Proletariats und eine Verneinung der Ausbeuterherrschaft. Wir sollten natürlich nicht aufhören zu sagen, dass wir Antifaschisten, Antikapitalisten und so weiter sind, wir sollten es lediglich nicht als einen Identifikationsanker benutzen. Gegen etwas zu sein kann aus vielen verschiedenen Gründen erfolgen, weshalb man auf solchen Demonstrationen unter einem einzigen Motto auch viele antrifft, die mit uns nicht viel gemein haben, außer dieser einzelnen Stellung. Das deckt sich mit der Frage danach, mit wem wir uns verbünden können. Damit ist gemeint, wirklich verbünden über einen langen Zeitraum und keine kurzfristigen Bündnisse im Sinne von, dass man gemeinsam eine Demonstration für ein einziges Thema organisiert. Langfristige Bündnisse benötigen eine hohe Schnittmenge an positiven Statements darüber, was man politisch, ökonomisch und gesellschaftlich anstrebt.

Darauf sollte unser Hauptaugenmerk liegen.

1https://youtu.be/ihxURzzcCls Ab 7:05. Dies ist ein Interview von RT Deutsch mit dem damaligen venezolanischen Handelsminister Jesus Faria im Jahre 2016.

2Vgl. „Die Arbeiterklasse der revisionistischen Länder muß auf dem Kampfplatz erscheinen und die Diktatur des Proletariats wiederherstellen“ (24. März 1968) In: „Aufbau des Sozialismus in Albanien – Schriften zur Weiterführung des Klassenkampfes im Sozialismus“, Oberbaumverlag, Berlin 1972, S. 85.

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