Gold und Katzengold – Sahra Wagenknechts geistige Wendung

Der Text kann hier auch als PDF herunter geladen werden.

Mancher Genosse fragt sich: „Sahra, wie konntest du nur zur Renegatin werden?“ Dabei haben diese ihre Artikel in den Weißenseer Blättern, in denen auch Kurt Gossweiler publizierte, aus den 90er Jahren im Auge, hauptsächlich den Artikel „Marxismus und Opportunismus“ aus dem Jahre 19921. Genauer betrachtet zeigte sich schon damals, dass bei ihr Gold und Katzengold nah beieinanderlagen und Letzteres die Grundlage für ihre heutigen bürgerlich-reformistischen Sichtweisen bildet.

Der angesprochene Artikel ist bekannt für diese Aussagen2:

Die ´Stalinismus´-These zielt bekanntlich auf eine solche Kontinuität und leitet daraus die Notwendigkeit einer ideologischen Umorientierung auf sozialdemokratische (´moderne´ genannt) Denkmuster ab.“

Nicht zu leugnen ist, daß Stalins Politik – in ihrer Ausrichtung, ihren Zielen und wohl auch in ihrer Herangehensweise – als prinzipientreue Fortführung der Leninschen gelten kann.“

Nicht der ´Stalinismus´ – der Opportunismus erweist sich als tödlich für die gewesene sozialistische Gesellschaftsordnung; nicht die marxistisch-leninistische Traditionslinie scheiterte, sondern wiederum und zum unzähligen Male die des alten Trade-Unionismus, die Bernsteins und Kautskys, die der reformistischen Sozialdemokratie.“

Der Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems geht zurück auf den wachsenden Einfluß und das letztliche Überhandnehmen opportunistischer Grundsätze in seiner Politik; eine Kontinuität verbindet nicht Stalin und Breshnew, sondern Breshnew und Gorbatschow.“

Das gab ihr die Form einer „Stalinistin“, wofür sie dann von der bürgerlichen Presse damals attackiert wurde, und gelegentlich bis heute aufgezogen wird. Diese Zitate waren so ziemlich das „Gold“ des Artikels. Seit 2009 nennt Wagenknecht diese Aussagen von damals „Vereinfachungen“ und „Einseitigkeiten“ und betont dabei sehr ihre Gespräche mit Gabo Lewin3. Damit reiht sie sich ein in die Phalanx der bürgerlichen Geschichtsfälscher. Die Forschung von unter anderem Grover Furr und Arch Getty widersprechen diesem bürgerlichen Geschichtsbild jedoch ganz deutlich. Mir ist unbekannt, ob Gabo Lewin tatsächlich unschuldig war oder doch schuldig gewesen ist. Das ist hier unerheblich, denn es geht um einen generellen Schluss Wagenknechts. Dieser Fall dürfte im Zusammenhang stehen mit dem 1989 veröffentlichten Brief Wilhelm Piecks an Dmitri Manuilski über die Verhaftung deutscher Genossen in der Sowjetunion vom Mai 19394. Es gab in der Tat Massenrepressionen, denen Unschuldige zum Opfer fielen, aber eben nicht „auf Stalins Geheiß“ und besonders durch solche Revisionisten wie Chruschtschow selbst5. Ein Augenzeuge, wie Gabo Lewin, kann beschreiben, was mit ihm gemacht wurde, sofern er ehrlich ist, aber er kann nicht sagen, was hinter den Kulissen vor sich ging.

Nun zum „Katzengold“. Sie belobigt dort das NÖSPL6 wegen dessen enthaltenen Marktreformen als „erhöhte Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der sozialistischen Warenproduzenten“. Das waren Konzessionen an die Revisionisten in der SED von Ulbrichts Seite. Wagenknecht schreibt jedoch dazu: „Auch bedeutete der Ulbrichtsche Reformkurs kein Zugeständnis an das – seit Gorbatschow und dem konterrevolutionären Herbst 89 sattsam bekannte – ´Sozialismus´-Bild des modernen Revisionismus.“ Genau das war es aber. Sie redet nur vom NÖSPL, aber verschweigt das ÖSS7 vom VII. Parteitag der SED im Jahre 1967. Damit wurden einige Marktreformen rückgängig gemacht, weil sie sich negativ ausgewirkt haben. Wenn das NÖSPL keine Konzession an die Revisionisten in der Partei gewesen wäre, warum wurde es dann genau dort korrigiert, worin dessen Kerninhalt laut Wagenknecht bestehen solle? Dagegen spricht auch Ulbrichts Verwehrung gegen Marktreformen und die analoge Übernahme von Kossygin-Marktreformen unter Honecker vom VIII. Parteitag der SED an8. Wenn Marktreformen wirklich der Kerninhalt des NÖSPL gewesen wären, und nicht, noch möglichst viel Planwirtschaft zu erhalten, trotz des revisionistischen Einflusses, wieso wurden dann nach 1971 die Marktreformen immer weiter vertieft, statt rückgängig gemacht? Sahra Wagenknecht nennt die richtigen Eckdaten, aber interpretiert sie kopfüber, vertauscht Unten und Oben. Bezeichnend ist dabei auch, dass sie kein einziges Wort über die Gestattungsproduktion verliert, welche Joint Ventures waren9, die nach 1976 aufkamen. Das passte nicht in das Bild des „Reformgegners Honecker“, das sie zu zeichnen versuchte. Es ist durchaus richtig, dass sie davon spricht, dass sich ab spätestens 1965 eine Anti-Ulbricht-Fraktion bildete, aber deren Zielsetzung war das Gegenteil von dem, was sie behauptet, denn sie waren die Antreiber der Marktreformen. Wagenknecht zitiert zur Honecker-Ära keine Parteibeschlüsse, nicht mal aus den Berichten des ZK der SED an die Parteitage. Dabei wird man alleine darin schon fündig. Das „Katzengold“ bei Wagenknecht besteht zusammengefasst darin, dass sie zwar die richtigen Eckdaten benennt, aber die inhaltliche Darstellung inkorrekt ist. Die Form sieht gut aus, aber der Inhalt ist schlecht.

Warum ist dieser Artikel von 1992 so aufschlussreich für ihr heutiges Denken? Weil ihre Belobigung der „sozialistischen Warenproduktion“, welche ein demagogischer Terminus von Kossygin ist, um die Einführung einer Marktwirtschaft in sozialistische Besitzverhältnisse zu verschleiern, nicht allzu weit weg ist von ihren heutigen Idolen Ludwig Erhard und Ota Šik10. Außerdem bedient sie sich heute Rosa Luxemburg, um sie abgöttisch gegen den Sozialismus ins Feld zu führen. Am 7. November 2017 schrieb Wagenknecht zum 100. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution: „Das Scheitern des sozialistischen Versuchs war jedoch vorprogrammiert, als es nicht gelang, den Aufbau rechtsstaatlicher Sicherungen gegen Willkür und Staatsgewalt, wie auch die Garantie fundamentaler Menschenrechte zu organisieren. Rosa Luxemburgs Forderung, dass innerhalb der sozialistischen Umgestaltung Freiheit als Freiheit für den Andersdenkenden den Raum für demokratische Erneuerung schaffen sollte, blieb ungehört und unerfüllt.“11 Das ist das alte Spiel. Es ist sogar so alt, dass schon Rosa Luxemburg vor 100 Jahren in einem Artikel mit eben diesem Titel schrieb: „Gegen Putsche, Morde und ähnlichen Blödsinn schreit man, und den Sozialismus meint man.“12 Nichts anderes tut Wagenknecht auch. Das Zitat von Rosa Luxemburg ist ein Feigenblatt. In ihrem unvollendeten Manuskript „Zur russischen Revolution“ aus dem Sommer 1918 schrieb sie: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“13 Diese Aussage wird viel zitiert, ohne wirkliche Betrachtung der Quelle. Sie wurde im Kontext der demokratieverachtenden These der „Schwerfälligkeit der demokratischen Institutionen“ von Trotzki geäußert14. Luxemburgs allgemeiner Fehler war die Gleichsetzung von Trotzkis Denken mit dem von Lenin, womit sie diese Aussage Trotzkis analog auf Lenins Denken überträgt15. Außerdem überschätzte sie damit den ideologischen Einfluss Trotzkis auf den Kurs der KPR(B). Abgesehen davon schrieb Rosa in der Tat: „Die 200 Sühneopfer in Moskau. Aus dieser Lage ergaben sich Terror und die Erdrückung der Demokratie.“16 Diese erwähnte Luxemburg auch in einem Brief an Luise Kautsky vom 25. Juli 191817, womit man ungefähr anberaumen kann, wann Rosa Luxemburg dieses Manuskript verfasste. Damals saß sie im Gefängnis, war dementsprechend von der Außenwelt sehr stark abgeschnitten, bekam davon nur Bruchstücke mit. Deshalb ist es eine Farce, sie als eine Kronzeugin für die „Willkür der Bolschewiki“ zu beschwören. Hinzu kommt noch, dass Rosa Luxemburg dieses Manuskript aufgab und ihre Meinung änderte, wie es seit 1922 bekannt ist, als ihre enge Freundin und Genossin Clara Zetkin darüber ein Buch schrieb18. Es dient also bloß der Widerspieglung der eigenen Meinung Wagenknechts, wenn sie Luxemburg als Kronzeugin gegen den Leninismus beschwört. Wenn man dermaßen ignorant mit der Wahrheit umgeht, dann gibt man die Wissenschaftlichkeit auf. Und wenn man die Wissenschaftlichkeit der eigenen Weltanschauung aufgibt, so unterscheidet einen nichts mehr von einem durchschnittlichen bürgerlichen Berufslügner. Jedenfalls ist es zusätzlich noch heuchlerisch, vor den Sozialismus die Garantierung von Menschenrechten zu setzen, statt als Ziel des Prozesses. Otto Grotewohl, der selbst jahrzehntelang die bankrotte und heuchlerische sozialdemokratische Praxis erlebte, sagte einst: „Der Kampf um die Verwirklichung des Sozialismus ist erst der Kampf für die Verwirklichung der Freiheit und der Menschenrechte. Die von der Sozialdemokratie so oft gebrauchte Formel ´Kein Sozialismus ohne Menschenrechte´ schafft nur Verwirrung. Die sozialistische Formel lautet nicht ´Kein Sozialismus ohne Menschenrechte´, sondern sie kann nur lauten, wie ich bereits auf unserem 2. Parteitage feststellte: ´Keine Menschenrechte ohne Sozialismus!´“19 Sahra Wagenknecht benutzt diese abgenutzte, bankrotte sozialdemokratische Losung sinngemäß.

Nun zurück zu den „Sühnehinrichtungen“. Lenin schrieb nach der Ermordung Mirbachs, des deutschen Botschafters in Moskau, durch die linken Sozialrevolutionäre an Stalin: Wir sind um Haaresbreite von einem Krieg entfernt. Wir haben Hunderte von linken Sozialrevolutionären als Geiseln, überall müssen diese erbärmlichen und hysterischen Abenteurer, die zu einem Werkzeug in den Händen der Konterrevolutionäre geworden sind, schonungslos niedergeworfen werden. Jeder, der gegen den Krieg ist, wird für uns sein.“20 Stalin antwortete Lenin: „Was die Hysteriker betrifft, so seien Sie gewiß, daß unsere Hand nicht zittern wird. Mit Feinden werden wir auf Feindesart verfahren.“21 Wahrlich „brutal“, nicht wahr? Es wäre wohl weniger „brutal“ gewesen sich in einen erneuten Krieg mit Deutschland verwickeln zu lassen und dabei vernichtet zu werden, noch mehr Tote zu beklagen, als Konterrevolutionäre zu verfolgen. Die Niederschlagung der Konterrevolution machen wir Marxisten nicht aus Mordlust, sondern weil die Alternative wäre sich der Konterrevolution auszuliefern, zu kapitulieren, um nicht „unmoralisch“ zu handeln. Wer die letzte Schlacht nicht ausfechtet, der wird niemals den Klassenkrieg beenden. Das dürfte Usus sein. Wagenknecht beschwört Luxemburg als einen pazifistischen Buddha. Zum 100. Jahrestag der Ermordung von Karl und Rosa gab Sahra Wagenknecht dem NDR ein Interview. Dort sagte sie: „Rosa Luxemburg hat nicht zu den Waffen aufgerufen, im Gegenteil. Sie gehörte innerhalb der Partei zu denen, die sich massiv dagegen gewehrt haben, dass man versucht, mit Waffengewalt etwas zu verändern.“22 Aber wie war sie wirklich? Rosa Luxemburg lehnte keinesfalls eine gewaltsame Revolution ab, sie sah sie als die einzige Möglichkeit an. Am 20. November 1918 schrieb Rosa Luxemburg in einem Artikel: „Der ´Bürgerkrieg´, den man aus der Revolution mit ängstlicher Sorge zu verbannen sucht, läßt sich nicht verbannen. Denn Bürgerkrieg ist nur ein anderer Name für Klassenkampf, und der Gedanke, den Sozialismus ohne Klassenkampf, durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluss einführen zu können, ist eine lächerliche kleinbürgerliche Illusion.“23 Die von Wagenknecht erwähnte Unterstützung der Teilnahme zur Wahl zur Nationalversammlung durch Luxemburg war bloß Ausdruck dessen, dass man das Parlament als Bühne nutzen wollte, aber nicht aus der Hoffnung heraus, darüber reformieren zu können. Und wem das nicht genug „Aufruf zur Waffengewalt“ gegen die Bourgeoisie ist, dem sei noch dieses Zitat angeführt: „Der Diktatur des Proletariats, dem Sozialismus, gehört der Tag und die Stunde. Wer sich dem Sturmwagen der sozialistischen Revolution entgegenstemmt, wird mit zertrümmerten Gliedern am Boden liegenbleiben.“24 Das zeigt, dass es Rosa Luxemburg bei den 200 hingerichteten linken Sozialrevolutionären, die an dem konterrevolutionären Putsch teilnahmen, nicht um die Hinrichtung selbst ging, sondern um die Sorge, man hätte sie nur rausgesäubert wegen Meinungsverschiedenheiten. Wagenknecht behauptet weiter: „Deswegen wäre es auch völlig verfehlt, Rosa Luxemburg zu einer Ahnin des damaligen östlichen Modells oder der DDR zu machen. Ihre Vorstellungen waren andere, und deswegen ist sie so interessant und so aktuell.“25 Es fällt unschwer auf, dass Wagenknecht den Sozialismus als „östliches Modell“ attackiert, obwohl sie 1992 doch noch Lippenbekenntnisse dazu ablieferte. Es war jedenfalls nicht so, dass Rosa Luxemburg ein „anderes Modell“ verkündete, nicht mal in „Zur russischen Revolution“, wo sie nichts tat außer aus der Ferne auf Grundlage einer sehr dünnen und unzuverlässigen Quellenlage eine Kritik zu schreiben, aber ohne darzulegen, wie sie selbst konkret herangehen würde. Dennoch schrieb sie am Ende des Manuskripts „Zur russischen Revolution“, dass die Zukunft überall dem Bolschewismus gehören würde26, ganz zu schweigen von ihrer Wende hin zum Leninismus Ende 1918. Und selbst im Sommer 1918 sah sie den Bolschewismus, das, was Sahra Wagenknecht als „östliches Modell“ verleumdet, primär positiv und als vorbildlich an, obwohl sie ihm noch immer kritisch gegenüber stand. Rosa Luxemburg schrieb in einem weiteren Manuskript aus ihrer Haftzeit im Sommer 1918: „Der ´Bolschewismus´ ist das Stichwort für den praktischen revolutionären Sozialismus, für alle Bestrebungen der Arbeiterklasse zur Machteroberung geworden. In diesem Aufreißen des sozialen Abgrunds im Schoße der bürgerlichen Gesellschaft, in dieser internationalen Vertiefung und Zuspitzung des Klassengegensatzes liegt das geschichtliche Verdienst des Bolschewismus, und in diesem Werk – wie immer in großen historischen Zusammenhängen – verschwinden wesenlos alle besonderen Fehler und Irrtümer des Bolschewismus.“27 Deshalb ist sie doch mit eine Ahnin der DDR und des „östlichen Modells“.

Zum 200. Geburtstag von Karl Marx im Mai 2018 verbreitete Wagenknecht ein altbekanntes Märchen von denen, die Marx in einen Dutzendliberalen verwandeln wollen: „Marx hat an keiner Stelle eine verstaatlichte Planwirtschaft gefordert.“28 Wie es scheint, hat Sahra Wagenknecht das Kommunistische Manifest entweder nicht gelesen, oder sie ignoriert dessen Inhalt. Jedenfalls findet sich im Abschnitt „Proletarier und Kommunisten“: „Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan.“29 Und nicht nur dort wird man fündig. So beklagt sich Karl Marx zum Beispiel im zweiten Band des „Kapitals“ darüber, dass der Kapitalismus eine „große Verschwendung der Produktivkräfte“ hat, weil dort nichts nach gesellschaftlichem Plan erfolgt30. Auch in Engels´ „Grundsätze des Kommunismus“31 und seinem „Anti-Dühring“32 wird man fündig. Marx und Engels nahmen zwar den Terminus Planwirtschaft nicht in den Mund, aber sehr wohl den Begriff „gesellschaftlicher Plan“, „planmäßig“ und so weiter, alles im Kontext der ökonomischen Entwicklung auf Grundlage des Staatseigentums. In einem Interview aus dem Jahre 2018 behauptete Wagenknecht: „Kapitalismus ist nicht gleich Marktwirtschaft. […] Eine echte soziale Marktwirtschaft wäre kein Kapitalismus mehr.“33 Daraufhin antwortete der Interviewer „Sie klingen eher, wie eine Sozialdemokratin.“, womit er ins Schwarze trifft. Wagenknecht mit ihrem Faible für Rosa Luxemburgs ökonomische Schriften34 dürfte doch, wenn sie wirklich so belesen ist, wie sie vorgibt zu sein, diese Aussage kennen: „Die kapitalistische Produktionsform setzt voraus die Warenproduktion als allgemeine Produktionsform.“35 Nichts anderes ist die Marktwirtschaft, wenn auch hier die Eigentumsfrage unbeachtet bleibt. Aber die „sozialistische Marktwirtschaft“ ist ein Anachronismus, der den Sozialismus selbst destabilisiert und gerade auf die gesamt-gesellschaftliche Planung verzichtet, welche der entscheidendste Vorzug des Sozialismus ist36. Es sei hier auch noch erwähnt, dass Marx schon im ersten Band des Kapitals schrieb: „Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebner Privatarbeiten sind.“37 Der von Luxemburg ausgeführte Gedanke findet sich auch schon bei Marx, aber das ist hier nebensächlich. Der Inhalt spielt eine Rolle. Was Wagenknecht aussagt unterscheidet sie in nichts von einem Tito oder einem Deng. Dennoch sagt sie, und das zurecht, dass das heutige China kapitalistisch ist38. Nur ist sie dabei sehr eklektizistisch, wie auch mit ihren Beschwörungen von Karl Marx und Rosa Luxemburg zu Dekorationszwecken. Ihre eigenen Ansätze würden genauso aussehen, nur, dass sie nicht mal mehr die sozialistische Staatsform behalten würden, sondern einfach plump Kapitalismus sind. Sie sagte in dem selben Interview: „Wenn wir den Ordoliberalismus ernst nehmen, etwa die Vorschläge Alexander Rüstows zur Erbschaftssteuer, dann würde die Umsetzung dem Kapitalismus die Grundlage entziehen. Dazu passen wohl am besten folgende Worte aus Marx´ „Achtzehntem Brumaire des Louis Bonaparte“: „Für sozialistisch wird selbst der bürgerliche Liberalismus erklärt, für sozialistisch die bürgerliche Aufklärung, für sozialistisch die bürgerliche Finanzreform.“39 Wagenknecht nennt es zwar nicht offen „sozialistisch“, aber impliziert es, indem sie sagt, dass es „dem Kapitalismus die Grundlage entziehen“ würde, obwohl das bloß ein paar Sozialreformen beinhaltet und Regulierungen im Sinne des Kapitals, primär sogar Letzteres. Sahra Wagenknecht steht mit beiden Füßen auf der Grundlage des Kapitalismus, aber streitet das sophistisch ab. Jedenfalls dürfte durch diesen Exkurs auffallen, dass diese scheinbar kleine Welle in ihrer Weltanschauung 1992 mit der Belobigung der „sozialistischen Warenproduktion“ zu einem Tsunami wurde, der ihre restlichen Anschauungen nach und nach von innen erodieren ließ, bis von Marx und Luxemburg nur noch die Buchstaben geblieben sind.

Ich möchte damit enden, womit Sahra Wagenknecht am Ende ihren Artikel „Marxismus und Opportunismus“ von 1992 beschloss, denn sie vertritt heute genau das, was sie damals noch kritisierte: „Da eine reformistische und opportunistische Politik nachweislich die Ursache für den Verfall und letztlichen Untergang des ersten realen Sozialismus darstellt, scheint es grotesk, wenn maßgebliche Kreise der PDS-Führung ausgerechnet in der Wiederbelebung sozialdemokratischer Ideen einen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise der sozialistischen Bewegung sehen.“40

2Zitate nach der angegebenen Webseite.

4Siehe: „Schreiben Wilhelm Piecks an D. S. Manuilski“ (28. Mai 1939) In: Neues Deutschland vom 12. Januar 1989, S. 3.

5Siehe dazu: Grover Furr „Chruschtschows Lügen“, Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH, Berlin 2014, S. 40 ff. Auf S. 317 f. finden sich die Verhaftungen und Exekutionen 1935-1940 als Tabelle und das sogenannte „Foltertelegramm“ Stalins vom 10. Januar 1939, wo er sich gegen die Praktiken der Jeshowtschina wendet.

6Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung.

7Ökonomisches System des Sozialismus.

8Siehe: https://www.die-rote-front.de/sozialismus-in-den-farben-der-ddr-ueber-den-revisionismus-erich-honeckers-ueberarbeitete-version/ Hier hatte ich bereits im letzten Jahr beschrieben, wie sich im Groben unter Honecker der Revisionismus auf allen Gebieten ausbreitete.

12Das alte Spiel“ (18. November 1918) In: Rosa Luxemburg „Gesammelte Werke“, Bd. 4, Dietz Verlag, Berlin 1979, S. 403.

13Zur russischen Revolution“ In: Ebenda, S. 359.

14Siehe: Ebenda, S. 354 ff.

15Siehe: Ebenda, S. 356.

16Ebenda, S. 352.

17Siehe: „Brief an Luise Kautsky“ (25. Juli 1918) In: Rosa Luxemburg „Gesammelte Briefe“, Bd. 5, Dietz Verlag, Berlin 1987, S. 404.

18Siehe: „Um Rosa Luxemburgs Stellung zur russischen Revolution“ (1922) In: Clara Zetkin „Ausgewählte Reden und Schriften“, Bd. II, Dietz Verlag, Berlin 1960, S. 383-475.

19Rede zur Eröffnung der Parteihochschule ´Karl Marx´“ (10. Januar 1948) In: Otto Grotewohl „Im Kampf um Deutschland“, Bd. II, Dietz Verlag, Berlin 1948, S. 303.

20Telegrammwechsel mit J. W. Stalin“ (7. Juli 1918) In: W. I. Lenin „Werke“, Bd. 27, Dietz Verlag, Berlin 1960, S. 534.

21Ebenda, S. 535.

23Die Nationalversammlung“ (20. November 1918) In: Rosa Luxemburg „Gesammelte Werke“, Bd. 4, Dietz Verlag, Berlin 1979, S. 408.

24Ein gewagtes Spiel“ (24. November 1918) In: Ebenda, S. 414.

26Siehe: „Zur russischen Revolution“ In: Rosa Luxemburg „Gesammelte Werke“, Bd. 4, Dietz Verlag, Berlin 1979, S. 365.

27Fragment über Krieg, nationale Frage und Revolution“ In: Ebenda, S. 371.

29Manifest der Kommunistischen Partei“ In: Karl Marx/Friedrich Engels „Werke“, Bd. 4, Dietz Verlag, Berlin 1977, S. 481.

30Vgl. Karl Marx „Das Kapital“, Bd. II In: Ebenda, Bd. 24, Dietz Verlag, Berlin 1975, S. 173.

31Siehe bspw.: „Grundsätze des Kommunismus“ (Oktober/November 1847) In: Ebenda, Bd. 4, Dietz Verlag, Berlin 1977, S. 370.

32Siehe bspw.: Friedrich Engels „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“ In: Ebenda, Bd. 20, Dietz Verlag, Berlin 1975, S. 264.

35Fragmente über Widersprüche und Tendenzen des Kapitalismus“ In: Rosa Luxemburg „Gesammelte Werke“, Bd. 7.1, Karl Dietz Verlag, Berlin 2017, S. 232.

36Vgl. Walter Ulbricht „Die Bedeutung und die Lebenskraft der Lehren von Karl Marx für unsere Zeit“ In: Leipziger Volkszeitung vom 4. Mai 1968, Nr. 123, S. 12.

37Karl Marx „Das Kapital“, Bd. I In: Karl Marx/Friedrich Engels „Werke“, Bd. 23, Dietz Verlag, Berlin 1970, S. 87.

39Karl Marx „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ (Dezember 1851 bis März 1852) In: Karl Marx/Friedrich Engels „Werke“, Bd. 8, Dietz Verlag, Berlin 1960, S. 153.

//