Im Osten nichts Neues? – Über den XX. Parteitag der KP Chinas

Vom 16. bis zum 22. Oktober 2022 fand in Peking der XX. Parteitag der KP Chinas statt. Xi Jinping wurde dort zum dritten Mal zum Generalsekretär gewählt. Dieser Parteitag brachte im inhaltlichen Kern keine Neuigkeiten mit sich, weder im Vorfeld, noch während der Durchführung und erst recht nicht im Nachgang. Die „sozialistische Marktwirtschaft“ als wirtschaftliches Kernstück Chinas bleibt unangetastet, sowohl vor1, während2 und nach3 dem Parteitag. Wenn man also dem wirtschaftspolitischen Kurs nach urteilt, ändert dieser Parteitag rein gar nichts. Auch die Xi-Jinping-Gedanken über den Sozialismus chinesischer Prägung in einer neuen Ära sind keine Neuigkeit mehr.

Xi sagte auf dem Parteitag: „Im vergangenen Jahrzehnt blieben wir dem Marxismus-Leninismus, den Mao-Tsetung-Ideen, der Deng-Xiaoping-Theorie, der Theorie des Dreifachen Vertretens und dem Wissenschaftlichen Entwicklungskonzept treu, und haben die Gedanken über den Sozialismus chinesischer Prägung in einer neuen Ära vollständig eingeführt wie auch die Grundlinie und Grundpolitik der Partei.“4 Auch ideologisch gibt es keine Veränderung. Lediglich gab es ein Novum auf dem Parteitag, als der Amtsvorgänger Hu Jintao widerwillig aus dem Saal begleitet worden ist, angeblich wegen „gesundheitlicher Probleme“, wie die offiziellen chinesischen Stellen behaupten5. Ein solcher Vorfall ist beispiellos in der Geschichte der Volksrepublik China und der Kommunistischen Partei Chinas. Wie aufgezeigt, erwähnte Xi Jinping weiterhin Hu Jintaos Wissenschaftliches Entwicklungskonzept als Teil der Parteiideologie, aber als Person scheint er geschasst worden zu sein. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass Jiang Zemins Werke auf Englisch vorliegen, die unter Hu Jintaos Amtszeit zusammengestellt worden sind, wie auch die von Xi Jinping, die in Abständen von zwei bis drei Jahren erscheinen, nicht aber Hu Jintaos 2016 erschienene Werke. Jedenfalls untergräbt es die Behauptung von Egon Krenz, der, weil er auf dem XIX. Parteitag der KP Chinas im Jahre 2017 Jiang Zemin und Hu Jintao neben Xi Jinping sitzen sah, meinte, dass die Parteiführung gemeinsam mit den Vorgängern geschlossen sei6. Heute kann man sehen, dass dies bloße Fassade war. Diese Offenlegung eines internen personellen Konflikts stellt eine Neuheit dar.

Die Rede auf dem Parteitag machte Schlagzeilen wegen folgender Aussage: Taiwan ist Chinas Taiwan. Die Lösung der Taiwanfrage ist eine Angelegenheit der Chinesen, eine Angelegenheit, die von den Chinesen gelöst werden muss. Wir werden weiterhin nach friedlicher Wiedervereinigung streben mit der größten Aufrichtigkeit und den größten Anstrengungen, aber wir weder niemals versprechen, die Anwendung von Gewalt zu verdammen, und wir werden die Option offenhalten, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen.“7 Der „raue Ton“ Xis gegenüber der Taiwanfrage ist gar nicht so neu und einzigartig, wie dargestellt. Unter Jiang Zemin klang die Rhetorik ähnlich, bis zu seinem Abtritt als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission im Jahre 2004. So sagte dieser in seiner Abtrittsrede vom 20. September 2004: Wir werden alles tun, um eine friedliche Wiedervereinigung zu erreichen mit der größtmöglichen Aufrichtigkeit, aber wir können niemals versprechen, die Anwendung von Gewalt zu verdammen. Das ist ein politisches Hauptprinzip. Die Armee muss in voller Bereitschaft für einen bewaffneten Kampf gegen die Unabhängigkeit Taiwans sein.“8 Diese Worte klingen fast wortwörtlich nach der Aussage von Xi Jinping auf dem XX. Parteitag der KP Chinas. Hu Jintao sprach sich auch während seiner Amtszeit inständig gegen eine Unabhängigkeit Taiwans aus, nur sprach er in seinen beiden Parteitagsberichten von 2007 und 2012 nicht von der Möglichkeit einer gewaltsamen Wiedervereinigung, wie Jiang Zemin und Xi Jinping. Es handelt sich bei Xis Stellungnahme zur Taiwanfrage also nicht um eine Neuheit, sondern lediglich um eine Bestätigung von bestehenden Meinungen in der Partei. Diese Haltung konterkariert Xis Beteuerung, dass die KP Chinas eine „Welt des dauerhaften Friedens“ anstrebe, durchaus.

Es gibt ansonsten nicht viele Neuigkeiten, die der Parteitag mit sich brachte. Der größte Teil der Rede von Xi Jinping bestand aus der Wiederholung altbekannter Formeln, während ein paar Teile bloß dort weitermachten, wo seine Vorgänger aufgehört hatten. So wurde zum Beispiel erwähnt, dass China eine „relativ wohlhabende Gesellschaft“ erreicht hätte, von welcher bereits Deng gesprochen hat und welche von Jiang Zemin im Jahre 2002 auf dem XVI. Parteitag der KP Chinas als ein konkretes Parteiziel formuliert worden ist. Man kann derartige Aussagen nicht ernsthaft als Neuigkeit ansehen. Sie sind kaum der Rede wert.

Ein wirkliches Novum auf dem Parteitag war, dass Xi Jinping für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der KP Chinas bestätigt worden ist. Seine Amtsvorgänger Jiang Zemin und Hu Jintao hatten lediglich zwei Amtszeiten, wobei Jiang Zemin großzügige zwei Amtszeiten hatte, da er im Juni 1989 zum Nachfolger von Zhao Ziyang bestimmt worden ist, und 1992 sowie 1997 vom XIV. und XV. Parteitag der KP Chinas im Amt bestätigt wurde. Kommentatoren von Nikkei Asia9 bringen Xi Jinpings dritte Amtszeit damit in Verbindung, dass er in der ideologischen Bedeutung Mao übersteigen wollen würde und führen dies bloß auf die Kapitelüberschrift in der Parteitagsrede zurück, die lautet: „Eine neue Grenze in der Anwendung des Marxismus auf die chinesischen Verhältnisse und die Notwendigkeiten der Zeit“10 Der Grund für diese Interpretation ist, dass in diesem Kapitel die Xi-Jinping-Gedanken über den Sozialismus chinesischer Prägung in einer neuen Ära nicht aufbauend auf vorhergehende parteiideologische Anschauungen hergeleitet wird, sondern direkt aus dem Marxismus heraus. Fünf Jahre zuvor sei dem noch nicht so gewesen. Diese Interpretation ist möglich, aber dennoch nannte Xi Jinping seinen eigenen Pseudo-Ismus an anderer Stelle in einer Reihe mit den anderen parteiideologischen Konzepten des Statuts.

Kann man also sagen, dass es im fernen Osten nichts Neues gibt? Das kann man sagen, was den wesentlichen politischen Kurs der KP Chinas betrifft. Sie bleibt genauso dengistisch, wie sie in den vergangenen vier Jahrzehnten gewesen ist. Nicht zutreffen tut dies aber auf die personelle Situation und damit gewissermaßen auf ungeschriebene Regeln des politischen Systems in China. Das Schassen eines Amtsvorgängers vor laufender Kamera ist erstmalig, genauso wie eine dritte Amtszeit eines Generalsekretärs seit der Deng-Ära ein Novum darstellt. Das bedeutet, dass dieser Parteitag zwar keine Veränderungen im grundsätzlichen Kurs der Partei mit sich bringt, aber auf dem Gebiet der Personalpolitik der Parteiführung der KP Chinas.

1 Siehe: „Schlüsselprobleme im Neuen Entwicklungsstadium“ (8. Dezember 2021) In: Xi Jinping „The Governance of China“, Vol. IV, Foreign Languages Press, Beijing 2022, S. 243, Englisch. Xi sagt dort: „Die Schaffung einer sozialistischen Marktwirtschaft ist eine der größten Errungenschaften unserer Partei.“

6 Vgl. Egon Krenz „China – Wie ich es sehe“, edition ost, Berlin 2018, S. 15.

8 „Mein Herz wird immer bei der Volksarmee sein“ (20. September 2004) In: „Selected Works of Jiang Zemin“, Vol. III, Foreign Languages Press, Beijing 2013, S. 592, Englisch.

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