Imam Ali als Stoiker – Ein wenig beachteter Philosoph

Es ist bekannt, dass ich den Islam kritisiere und seinen Glaubensinhalt für rechtsextrem halte, weil ich mich mit ihm befasst habe. Lehne ich also alles und jeden ab, der damit in Verbindung steht? Keinesfalls! Ali der Weise, oder Imam Ali, wie ihn Schiiten nennen, verdient durchaus Respekt. Ich glaube nicht an seine Predigten, aber ich kann seinem philosophischen Denken etwas abgewinnen: In seinen Schriften verbirgt sich ein Stück stoische Philosophie, welches im Westen bisher nicht zur Kenntnis genommen worden ist, trotz des Hypes um den Stoizismus in den vergangenen Jahren.

Der „Pfad der Eloquenz“ gilt den Schiiten als die Sammlung von Alis Schriften. Der Charakter dieser Werksammlung ist primär religiös. Aber selbst dort lässt sich die Philosophie durchblicken. Das Gottesbild von Ali ist ähnlich dessen von Augustinus und Meister Eckhardt: Man könnte hier Allah mit dem Dao gleichsetzen. Er sprach in einer Predigt: „Denn wer Allah, den Erhabenen, beschrieben hat, hat Ihn bereits (mit dieser Eigenschaft) verbunden, und wer Ihn (damit) verbunden hat, betrachtet Ihn als Zwei, wer Ihn als Zwei ansieht, hat Ihn geteilt, und wer Ihn geteilt hat, kennt Ihn nicht, und wer Ihn nicht kennt, hat auf Ihn gezeigt. Wer auf Ihn gezeigt hat, hat Ihn begrenzt, und wer Ihn begrenzt hat, hat Ihn gezählt. Wer gesagt hat, worin Er (enthalten) ist, behauptet, dass Er (in irgendetwas) enthalten ist, und wer sagt, wovon Er abgehalten wird, hat jenes von Ihm frei gemacht. Er existiert, doch ohne irgendetwas, was Ihn in die Existenz gebracht hat, (und) Er existiert, doch nicht aus der Nicht-Existenz heraus. Er ist mit allen Dingen, doch nicht (mit ihnen) verbunden, und Er ist anders als alle Dinge, doch ohne (von ihnen) getrennt zu sein.“1 Es ist wenig verwunderlich, dass die Aleviten ein ziemlich mystisch-esoterisches Glaubensverständnis besitzen, welche aus dem Schiitentum hervorgegangen sind, wenn man diese Äußerung sich betrachtet.

Natürlich befinden sich in diesen Werken auch allgemeine Weisheitssprüche, wie zum Beispiel: So manches Wort ist wirksamer als ein Angriff.“2 Oder: „Wer herrscht, wird anmaßend.“3 Sprichwörter zur „Macht der Worte“ finden sich bei vielen Philosophen. Mir geht es aber vor allem um die stoischen Gedankengänge Alis.

Genügsamkeit

Ali lehrte Genügsamkeit. So sagte er4 beispielsweise:

Wer Gier (als einen Charakterzug) verinnerlicht hat, setzt sich selber herab, wer seine Schädigung offen legt, zeigt sein Einverständnis, gedemütigt zu werden, und wer seiner Zunge Befehlsgewalt über seine Seele gibt, misst ihr (der Seele) keinen Wert bei.“

Der Geiz bedeutet Blöße, die Feigheit Mangelhaftigkeit, die Bedürftigkeit lässt einen Intelligenten verstummen, seine Argumente vorzubringen, und der Besitzlose ist ein Fremder in seiner Heimatstadt.“

Gier und Geiz sieht Ali als charakterlich verwerflich an. Er erkennt auch, dass man ohne materiellen Besitz von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen ist. „Reichtum in der Fremde ist Heimat, und Armut in der Heimat ist Fremdsein.“5, sprach er deshalb auch.

Gier und Geiz stellt Ali diese guten Tugenden gegenüber: Sei großmütig, doch sei nicht verschwenderisch, und sei maßvoll, doch sei nicht geizig.“6 Das heißt: Man muss schauen, dass man selbst nicht zu kurz kommt, aber sollte nicht knausern, wenn es nötig wäre. Er sprach auch: „Jedes Ding, mit dem man sich begnügen kann, ist ausreichend.“7 Kurzum: Man soll genügsam sein, wenn eine Sache für ihren Zweck ausreichend ist. Es ist eben so: „Die Genügsamkeit ist ein Besitz, der nie schwindet.“8 Gier hingegeben ist, als würde man Salzwasser gegen Durst trinken: Es ist nie genug. „Die Gier ist eine ewige Sklaverei.“9 Das sollten sich vor allem die Schischabar-Muslime vor Augen halten, die mit Rolex am Arm in ihrem BMW oder Mercedes durch die Stadt fahren! „Weniges, das bleibt, ist besser als vieles, das Verdruss bringt.“10 – So hielt es Ali.

Gier macht einen Menschen blind gegenüber seinen Mitmenschen und sogar Angehörigen. Das erkannte auch Ali: „Ein Mann kann schlafen beim Verlust seines Kindes, doch er kann nicht schlafen beim Verlust seines Besitzes.“11 Man kann daraus ersehen, dass für Ali Eigentum nicht so wichtig war, wie seine Mitmenschen. Für ihn war der größte Besitz das Wissen, nicht materielle Güter.

Streben nach Wissen

Für Ali nimmt das Streben nach Wissen einen hohen Stellenwert ein. Er sagte: „Das Wissen ist etwas Ehrenwertes, das zu vererben ist, gute Manieren sind neue Kleider, und das Nachdenken ein klarer Spiegel.“12 Die Wissensaneignung ist essentiell, um im Leben sich weiterzuentwickeln und voranzukommen. Alis wohl berühmtester Ausspruch zum Thema Wissen lautet wohl: „Der größte Reichtum ist der Verstand, die größte Armut die Dummheit.“13 Wohl wahr! Die Menschheit an sich ist der lebende Beweis dafür, dass es primär auf den Verstand ankommt beim Überleben. Mit dem Verstand ist man in der Lage adäquat zu handeln. Guerillaarmeen haben moderne Heere dadurch geschlagen, dass sie sie überlisteten, obwohl sie materiell weit unterlegen waren.

Zu einem gewissen Grad stimmt dieser Ausspruch: „Nie reißt ein Mensch einen Witz, ohne dass er ein Stück seines Verstandes wegwirft.“14 Witze dienen primär der Unterhaltung, nicht der Bildung. Um einen Witz zu formulieren, muss man die objektive Realität so komprimieren, dass sie bei genauerer Betrachtung „blöde“ wird. Man sollte sich aber von diesem Ausspruch Alis nicht den Humor verderben lassen.

Man sollte nicht blind auf fremden Ratschlag hören: „Wahrlich, wenn die Aussage der Weisen den richtigen Punkt trifft, ist sie Medizin, doch wenn sie falsch ist, ist sie eine Krankheit.“15 Ein guter Rat ist eine Wissenserweiterung, aber ein schlechter Rat verschlimmert die eigene Lage.

Ali sagte: „Wer aufgrund seiner eigenen Meinung despotisch ist, erleidet Untergang, und wer sich mit Leuten berät, hat Anteil am Verstand ihrer Meinungen.“16 Das bedeutet, dass jemand, der rechthaberisch ist, damit irgendwann gegen die Wand fährt. Interessant ist aber auch der Gedanke, dass Denken ein kollektiver Prozess ist: Jeder, der mit anderen diskutiert und dadurch von ihnen Input erhält, formt seine Gedanken nicht vollständig selbst, sondern mithilfe von diesen anderen. Das vermeidet auch die Einseitigkeit im Denken, die bei vielen vorherrscht, denn viele Köpfe können auch viel mehr Aspekte überblicken.

Ali glaubte auch an den Grundsatz „Ich weiß nur, dass ich nichts weiß“, lediglich umformuliert: „Wer aufhört zu sagen ´Ich weiß nicht´, den ereilt seine Zerstörung.“17 Sobald man meint, man „wisse alles“, geht man zugrunde, weil es nicht stimmt. Ali sagte nämlich auch: „So manchen Gelehrten hat seine Unwissenheit zugrunde gerichtet, während ihm das Wissen, das er besaß, nichts nützte.“18 Es kann passieren, dass man zwar viele Dinge weiß, aber man genau deshalb Schiffbruch erleidet, weil man mit einer Sache konfrontiert wird, von der man keine Ahnung hat.

Ali sagte: „Mit der Vervollkommnung des Verstandes vermindert sich das Sprechen.“19 Das ist wohl ein Problem in der Welt: Die Klugen denken erst nach und reden dann, somit sind sie weniger präsent; die Dummen reden erst und denken, wenn überhaupt, danach. Umgekehrt wäre das Debattenklima sicherlich besser. Das ist das Problem: „Es liegt kein Gutes im Schweigen, wenn es um Weisheit geht, genauso wie es kein Gutes gibt im Reden mit Unwissenheit.“20 Es stimmt nun mal: „Du findest keinen Unwissenden, der nicht über- oder untertreibt.“21 Wer keine Ahnung hat, der ist nicht dazu in der Lage, eine Sache richtig einzuschätzen. Noch schlimmer als Unwissenheit ist es, gegen das Wissen anzukämpfen: „Wer gegen die Wahrheit kämpft, den bekämpft sie.22 Lügen haben vor der Ewigkeit keinen Bestand.

Ali begnügte sich aber nicht damit, dass man sich Wissen aneignet, sondern gebot es, danach zu handeln: „Macht nicht euer Wissen zu Unwissenheit und eure Gewissheit zu Zweifel. Wenn ihr Wissen erlangt habt, dann handelt danach, und wenn ihr Gewissheit erworben habt, schreitet (darauf aufbauend) fort.23 Worin liegt der Sinn des Lernens, wenn man das Gelernte nie anwendet? Wenn man auf Grundlage des Gelernten voranschreitet, erreicht man auch etwas. Das zeigt sich am besten in diesem Beispiel: „Das Wissen schneidet die Entschuldigung derer ab, die nach Ausreden suchen.24 Wenn man sich nicht mit Ausreden über den Status quo zufrieden gibt, sondern weiß, was falsch läuft, kann man diese widerlegen und Lösungen erarbeiten. Um nicht anzuecken, werfen Menschen allzu gerne ihr Hirn über Bord, und machen sich an der Aufrechterhaltung unhaltbarer Zustände mitschuldig.

Gute Taten

Ali regte dazu an, Gutes zu tun. Er sagte: Wer Gutes tut, ist besser als das (Gute, das er tut), und wer Schlechtes tut, ist schlechter als das.“25 Was heißt das? Jemand, der Gutes tut, tut dies, weil er innerlich gut ist, somit steckt mehr Gutes dahinter, als er zeigt; jemand, der Schlechtes tut, tut dies, weil er innerlich böse ist, somit steckt mehr Schlechtes dahinter, als er zeigt. Die Tat ist nur die Spitze des Eisbergs.

Ali bemisst den Wert eines Menschen an dem, was er an Gutem tut. Er sprach: „Der Wert eines jeden Menschen liegt darin, was er an Gutem tut.26 Ein schlechter Mensch ist für die Gesellschaft bestenfalls wertlos, schlimmstenfalls eine Last. Ein guter Mensch ist für eine Gesellschaft unbezahlbar wertvoll.

Wenn man etwas Gutes tut, wird es einem möglicherweise mehr vergolten werden, als die Tat selbst: Wer mit kurzer Hand gibt, dem wird mit langer Hand gegeben.27 Das ist nicht wortwörtlich zu nehmen. Man kann aber sagen, dass, wenn jeder jedem helfe, ein Einzelner nur noch relativ wenig tun müsste, da es so viele Helfer geben würde.

Es gibt genügend Ausreden, wieso man anderen jetzt nicht hilft, und am Ende hilft man selbst nach dem Aufschieben niemandem. Ali sagte: Jeder, der schnell (vom Tod) ereilt wird, erbittet Aufschub, und jeder, der noch Frist hat, hat noch Ausreden für die Verzögerung (guter Taten).“28 Es wird zu oft gewartet, bis es zu spät ist. Deshalb: Jetzt ist der Moment, um etwas zu tun. Ein Problem mag auch sein, auf den „richtigen Zeitpunkt“ zu warten, oder, wie viele in der Liebe, auf „den Richtigen“ oder „die Richtige“. Dadurch erreicht man dann schlussendlich gar nichts. Ali sprach: „Wer (zu) lange (übertriebene) Hoffnungen hat, verdirbt seine Taten.“29 Der sprichwörtliche Spatz in der Hand ist oftmals besser als die Taube auf dem Dach – denn diese kriegt man meistens nie.

Ali sprach: „Das Mittel zur Anführerschaft ist eine weite Brust (d.h. Großzügigkeit).“30 Damit ist nicht gemeint, dass man sich die anderen kaufen sollte, sondern, dass man sich ihnen gut gegenüber verhält, sich um sie kümmert. Ein guter Anführer kümmert sich um diejenigen, die er führt. Man braucht also einen guten Umgang mit den Menschen.

Guter Umgang mit den Menschen

Ali lehrte, wie die anderen stoischen Philosophen, auch einen guten Umgang unter den Menschen. So sprach er beispielsweise: Pflegt dergestalt Umgang mit den Menschen, dass sie über euch weinen, wenn ihr sterbt, und sie sich während eurer Lebenszeit nach euch sehnen.“31 Dieser Ausspruch könnte fast genauso von Markus Aurelius stammen. Selbst gegenüber Feinden vertrat Ali eine Art Ritterlichkeit. Er sagte: „Wenn du über deinen Feind Macht gewinnst, gewähre ihm Erlass in Dankbarkeit dafür, dass du über ihn Macht gewonnen hast.“32 Man sollte seinem Feind gegenüber gnädig sein. Dadurch gibt man ihm die Möglichkeit der Umkehr.

Ali ruft dazu auf, anderen ein Vorbild zu sein: „Schneide das Übel von der Brust anderer ab, indem du es aus deiner (eigenen) Brust entwurzelst.“33 Wenn man sich selbst möglichst tadellos verhält, so regt man andere als Vorbild dazu an, sich auch so zu verhalten. So macht man sich auch langfristig Freunde.

Freundschaft

Ali erachtete die Freundschaft im Leben als wichtig. Er sagte: Der Hilfloseste unter den Menschen ist der, der es nicht geschafft hat, (einige) Brüder für sich zu finden, doch noch hilfloser unter ihnen ist der, dem es gelungen ist, doch er diese verliert.“34 Dass ein Leben ohne Freunde erbarmungswürdig ist, zeigen nicht nur die vielen Memes über dieses Thema. Es ist deshalb berechtigt zu sagen: „Das Schließen von Freundschaft ist die Hälfte des Verstandes.“35 Die eine Hälfte des Verstandes besteht aus rationalen Erwägungen, die andere Hälfte ist die emotionale Ebene. Letztere wird zugunsten von Ersterer allzu oft vernachlässigt. Das mag bei „Beziehungen“ zwischen zwei Robotern funktionieren, aber nicht zwischen zwei Menschen. Der Begriff „emotionale Intelligenz“ hat seine Berechtigung.

Man sollte sich vor falschen Freunden im Leben hüten. Ali sagte: Der Freund ist kein Freund, solange er seinen Bruder nicht in drei Dingen schützt: In seinem Unglück, in seiner Abwesenheit und bei seinem Ableben.“36 Wie oft ist es, dass man sitzengelassen wird von denen, die man für seine Freunde hält, wenn man sie wirklich bräuchte! Deshalb hat Ali zu einem gewissen Grad recht, wenn er sagt: „Liebe den, den du liebst, nicht zu intensiv, denn es kann sein, dass er dir eines Tages verhasst wird, und hasse den, den du hasst, nicht zu intensiv, es kann sein, dass er eines Tages dein Geliebter wird.“37 Ich kann dem nicht völlig zustimmen, aber er trifft durchaus auf einen harten Kern: Es kann sein, dass Freunde zu Feinden und Feinde zu Freunden werden unter gewissen Umständen, etwa wenn man sich auseinanderlebt durch einen Lebenswandel oder wenn das Gegenüber sich positiv verändert hat. Man erkennt echte Freunde an ihrer Loyalität und am Zusammenhalt. Man sollte aber nicht pingelig und überkritisch sein. Ali sagte: „Prüfe (jemanden), und du wirst ihn hassen.“38 Wenn man jemanden mikroskopisch untersucht, wird man auch viele hässliche Aspekte an jemandem finden. Wichtig ist es, abzuwägen, was überwiegt. Niemand ist ohne Makel. Man sollte versuchen, positiv auf seine Freunde einzuwirken, wenn sie einen charakterlichen Makel haben, den man gemeinsam behandeln kann. Es gibt aber toxische Leute, denen nicht zu helfen ist. Denen geht man am besten aus dem Weg. Ali sagte: „Pflege keine Gesellschaft mit dem Törichten, denn er wird seine Handlungen vor dir schön erscheinen lassen, und er hätte gern, dass du wie er wirst.“39 So etwas sieht man oft bei Schulcliquen, wo sich eine Reihe von charakterschwachen Jugendlichen sich einem Anführer unterordnen, der einen schlechten Einfluss auf sie ausübt. Diese passen sich seinem Verhalten an und werden von diesem gewissermaßen charakterlich nach unten gezogen. Davor sollte man sich hüten. Man sollte seinen eigenen Weg gehen, um sich charakterlich zu formen.

Charakterstärke

Ali lehrte auch in misslichen Lagen charakterliche Stärke zu beweisen.

Man soll Ali zufolge bei Krankheit standhaft bleiben: Laufe mit einer Krankheit, so lange du es kannst.“40 Das ist Ausdauer gegenüber einem gesundheitlichen Hindernis. Dies soll nicht das eigene Leben bestimmen.

Ali rief dazu auf, die eigene Komfortzone zu verlassen: „Die beste Tat ist die, zu der du dein Ego zwingen musst.41 Wenn man nur das macht, was einem leicht fällt und wozu man sich nicht überwinden muss, reift und wächst man nicht. Wer nach etwas strebt, wird es erreichen, oder (zumindest) einen Teil davon.“42 Wenn man etwas will, muss man sich ranhalten. Wenn man sich zum Ziel setzt, alle drei Bände von Marx´ „Kapital“ zu lesen, wird man das vielleicht vollständig nicht schaffen, aber doch sicherlich den ersten Band, wenn man zumindest anfängt.

Genauso wenig wächst man durch narzisstische Züge: „Die (Selbst-)Bewunderung verhindert die Entwicklung (des Menschen).43 Vor lauter Betrachtung im Spiegel sieht man die Welt dann nicht mehr. Aus überzogener Selbstliebe folgt auch die Rechthaberei. Zu dieser hatte Ali auch eine klare Meinung: Die Rechthaberei lässt die (gute) Meinung schwinden.44 Rechthaberei ist nicht nur allzu oft ohne sachliche Begründung aus einem übersteigerten Ehrgefühl heraus, sondern macht einen selbst auch noch vor anderen lächerlich. Ein Besserwisser hat kein hohes Ansehen, sondern wird verspottet und gemieden. Ali sagte: „Wer auf seine Ehre bedacht ist, unterlasse sinnlose Streiterei.“45 Streiterei um Kleinigkeiten schadet der Ehre mehr, als dass sie dazu in der Lage ist, sie zu verteidigen. Stattdessen sollte man über kleinere Ärgernisse stoisch hinwegsehen: „Ertrage Ärgernis geduldig, und du wirst immer zufrieden sein.46 Es gibt Dinge, die sind die Nervenaufreibung nicht wert.

Neid ist eine schlechte Eigenschaft, nicht nur, weil sie nutzlos ist, sondern, weil sie sogar schadet. Man sagt nicht umsonst sprichwörtlich, dass „der Neid einen zerfrisst“. Ali sah das genauso: Die Gesundheit des Körpers kommt von wenig Neid.“47 Neid ist natürlich nicht der einzige Faktor, der über die Gesundheit bestimmt, aber durchaus ein wichtiger Faktor der Psychohygiene. Üblicherweise beneiden sich Menschen um materielle Güter, aber kaum jemand um das Wichtigste: „Es ist verwunderlich, dass die Neider nicht auf die Gesundheit des Körpers neidisch sind!48 Was bringen einem materielle Güter, wenn man sterbenskrank danieder liegt?

Allzu viele junge Menschen verschlafen heutzutage ihr halbes Leben und wundern sich dann, wieso sie zu nichts kommen. Schon Ali sagte: „Wie ruinös ist der Schlaf für die Entschlüsse des Tages!“49 Wenn man die Zeit verschläft, bleibt keine Zeit zum Handeln. So einfach ist das.

Ali erkannte auch an, dass es charakterlich erbaulich ist, staatsmännische Verantwortung zu übernehmen. Er sprach: „Die Regierungsmacht ist eine Trainingsbahn für die Männer.“50 Große Verantwortung braucht einen reifen Charakter.

Dieser Ausspruch von Ali ist wohl Stoizismus in Reinstform: „Wen die Standhaftigkeit nicht rettet, den vernichtet die Besorgnis.51 Welche größere Besorgnis im Leben könnte es geben, als die Sorge davor, zu sterben?

Tod

Der Tod spielt bei Ali natürlich eine primär religiöse Rolle. Dennoch hatte er dazu einige philosophische Aussagen getroffen.

Über die Schicksalhaftigkeit des Todes: Alle Dinge unterliegen dem Schicksal, dass sogar (manchmal) der Tod bei der Planung eintritt.“52 Wir wissen weder Tag noch Stunde…

Ali machte die Sinnlosigkeit klar, vor dem Tod davonlaufen zu wollen: „Wenn du (vor dem Tod) davonläufst, während der Tod auf dich zukommt, wie rasch wird dann die Begegnung (mit ihm) sein!“53 Man sollte stattdessen sein Leben leben. Ali Machte deutlich: „Der Atem des Menschen ist ein Schritt auf seinen Tod zu.“54 Es gibt kein Entkommen vor dem Tod.

Letztendlich ist alles vergänglich: „Jeder Mensch hat ein Ende, sei es süß oder bitter.

Jeder, der kommt, muss auch wieder gehen, und kaum dass er fortgegangen ist, ist es so, als hätte er nie existiert.“55 Letzterer Gedanke hat sogar etwas Nihilistisches.

Ali erkannte an, was es bedeutet, Angehörige zu verlieren: „Der Verlust von Leuten, die einen lieben, bedeutet Fremdheit.“56 Je weniger Menschen am leben sind, die man gut kannte, umso fremder wird man der Welt. Diese waren das soziale Umfeld in das man hineingeboren worden ist oder das man geschaffen hat.

Den biblischen Ausspruch „Alles ist eitel“57 teilt Ali inhaltlich betrachtet, indem er sagt: „Lege deine Prahlerei ab, lege deinen Hochmut nieder und denke an dein Grab.58 Was ist Angeberei wert im Angesicht des Todes?

Im Prinzip vertrat er also das Motiv des „memento mori“. Wie andere stoische Philosophen, wie etwa Markus Aurelius, hält Ali dazu an, dass man sich rechtschaffen verhalten soll im Leben, um der Nachwelt etwas Gutes zu hinterlassen.

Abschluss

Man mag von mir normalerweise tiefgründige Analysen gewohnt sein. In diesem Falle war mein Anliegen lediglich, die stoische Weisheit von Ali bekannter zu machen. Entsprechend ist dieser Artikel auch von meiner Seite wenig ausgefeilt und lässt primär Ali selbst zu Wort kommen, mit ein wenig Kommentierung meinerseits. Ob man den Stoizismus bloß als eine Modephilosophie abtut oder etwas von ihm lernen will, das sei dem Leser selbst überlassen. Es handelt sich dabei um bloße Lebensphilosophie, also um eine rein persönliche Einstellung.

57 Prediger 1, 2.

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