Maskerade in Potsdam oder: DDR-Kunst im Besserwessi-Blick

erschienen am 23.März 2018 via KenFM


Ein Kommentar von Klaus Hartmann.

Wenn sonst nix los ist, beschäftigen wir uns mit Kultur. Der Jammer über Putins glänzenden Sieg legt sich allmählich, die Briten beschäftigen sich weiter mit dem Verwischen ihrer Giftgasspuren, Assad ist böse wie immer oder noch böser und in Berlin wird weiter gemerkelt wie bisher. Die Medien käuen es zwar täglich wieder, aber das Recyceln von Mist mag zwar als nachhaltig gelten, Mist bleibt es doch.

So blicken wir zurück auf die Freude, gerettete Kunstwerke aus dem repräsentativen Gebäude einer Hauptstadt wiederzusehen, das vor einiger Zeit von Verrückten oder Verbrechern zerstört wurde. Nein, nicht das World Trade Center in New York, sondern der Palast der Republik in der (bis 1990) Hauptstadt der DDR. Dieses 1976 eröffnete Volkshaus beherbergte das Parlament, diente als Kultur- und Konzerthalle, als Disko und Theater, hatte eine Vielzahl gastronomischer Angebote – und eine Galerie mit 16 großformatigen Gemälden.

Den vorläufigen Siegern (sogenannten Wessis) war klar: dieses Wahrzeichen der DDR musste weg (wie der Lenin am vormals gleichnamigen Platz), der Bundestag beschloss den Abriss 2003. Anstelle des Volkshauses nimmt hier das neue alte Berliner Stadtschloss Platz, was – so gesehen – auch besser zur neuen Herrschaft und ihrem Staat passt. Die Gemälde aus dem Palast mit dem Leitmotiv „Dürfen Kommunisten träumen?“ verschwanden – im Depot des Deutschen Historischen Museums.

Und, wer hätte es sich träumen lassen, letztes Jahr tauchten sie wieder auf, in Potsdam, im Museum Barberini. Das Museum zeigte zwischen Oktober 2017 und Februar 2018 die Ausstellung „Hinter der Maske – Künstler in der DDR.“ Ein Glück, beim ersten flüchtigen Blick hatte ich „Hinter der Mauer“ gelesen. Da Werke von Künstlern Zeitlosigkeit beanspruchen können (anders als die Taten unserer Politdarsteller), ist auch eine Nachbetrachtung zur Ausstellung gerechtfertigt.

Zunächst erschrak ich beim Betreten der Ausstellung: Bundespräsident Steinmeier als Schirmherr? Ein Schelm, wem dazu das Wort „Staatskunst“ einfällt. Womit in unserem Zusammenhang nicht die Kunst, den Staat zu leiten, gemeint ist, sondern staatlich dirigierte und beaufsichtigte Kunst. Das war die Kunst in der DDR bekanntlich aus West-Sicht, während als Ausweis von Demokratie gelten soll, wenn der Staat sich raushält. Aber die Ausstellung solcher Kunst wird nun vom Bundespräsident eröffnet? Soll er uns die „politisch korrekte“ Bildbetrachtung lehren?

Das dementierte Steinmeier in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung, die leidlich akzeptabel und kaum antikommunistisch klang. Bei so einem Quasi-Staatsakt kann auch das Quasi-Staatsfernsehen nicht fehlen, und so schaffte es die Ausstellungseröffnung bis in die „heute-Nachrichten“. Sogar der notorisch hetzerisch aufgelegte Alles-Kleber war erstaunlich milde gestimmt: „Da werden Scheuklappen abgelegt, die DDR-Kunst stur unterteilten – in ‚Staatskunst: mies‘ und ‚Dissidentenkunst: aufregend‘. In Potsdam bekommt man endlich eine fairen Blick auf die Kunstszene der im Vergleich doch kleinen DDR“. Doch mit dieser frohen Botschaft lag er ebenso daneben wie Steinmeier, der meinte, diese Ausstellung wolle dem noch immer in vielen Köpfen herumspukenden Fehlurteil entgegentreten, dass man DDR-Kunst nur verstehen könne, wenn man sofort ihren Bezug zu Staat und Gesellschaft bestimme.

Beide hätten sich die Ausstellung besser vorher anschauen sollen, dann wäre es nicht zu solch krassen Fehlurteilen gekommen. Es ist im Gegenteil das durchgängige Leitmotiv der Ausstellungsmacher, jeden Künstler, jedes Werk nach dem Verhältnis zum sozialistischen Staat zu bewerten. Das Kuratorenpaar aus dem Westen belegte mit seinen Texten, dass es besagte Scheuklappen gerade nicht ablegen konnte.

Über 110.000 Besucher waren meist überrascht und begeistert von der Vielfalt der Kunstwerke: Wunderbare Bilder, beschissene Texte – könnte man resümieren. „Seltsam, eine solche Vielfalt bei – wie es penetrant die Texte zu den Bildern und den Künstlern vermitteln – angeblich dogmatischer Kunstpolitik in einer Diktatur“, bemerkt sarkastisch Hans Bauer, Vorsitzender der „Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung“. Harald Kretzschmar im „Neuen Deutschland“: „Denn wenn eines klar wurde, dann, wie lästig die ständige Überbetonung des konkreten politischen Kontextes dieser Kunst inzwischen ist. Ihr Wert war ja fast dahinter verschwunden. (…) Jede anerkennenswerte künstlerische Qualität als Widerstandstat gegen einen verhassten Staat zu feiern, ist lebensfremd.“

So wohltuend das Wiedersehen mit den Werken von Willi Sitte, Werner Tübke und 85 weiteren Künstlern sowie jenen aus dem Palast der Republik war, die Begleittexte wollten ihre aufdringliche Botschaft über „verordneten Kollektivismus“ und unqualifiziert-abfällige Bemerkungen über den „sozialistischen Realismus“ dem Betrachter „beibiegen“. Und das ist dann doch ein wenig des Schlechten zuviel.

Nicht nur die Besucher, auch die Künstler werden so bevormundet. Künstlern und Werken wird gewaltsam die Kategorie „oppositionell-subversiv“ übergeholfen, und der aufmerksame Besucher konnte dann über biografische Daten staunen, dass diese „Oppositionellen“ Stipendien erhielten, in staatlichen Museen ausstellten, zu Hochschullehrern und Akademiemitgliedern berufen wurden.

Zum titelgebenden Masken-Motiv wird uns die Frage vorgelegt: „Ist die Maske Schutz oder Angriff?“ Der Kommunist Theo Balden (1904-1995) erfährt über sein Werk: „Ist es der Künstler, der sich hier zurückzieht und in seine Rolle fügt, oder ist es nicht vielmehr der Staat, dem hier der Künstler die Maske aufsetzt, und die er damit offenlegt – das ist dieses Spiel zwischen Offenlegung und Tarnung, zwischen Rückzug und Behauptung“, dichtet die Kuratorin Valerie Hortolani. Balden war Widerstandskämpfer gegen den Faschismus, wurde mit dem Kunstpreis der DDR, dem Nationalpreis (2fach), dem Vaterländischen Verdienstorden (2fach) und zahlreichen weiteren Preisen ausgezeichnet, er war Hochschulprofessor, Akademie-Mitglied und Ehrenmitglied des Verbandes bildender Künstler.

Künstler, in deren Werk man bei noch so schlechtem Willen so gar nichts „Oppositionelles“ hineinfantasieren kann, werden mit „Kunstkritik“ bestraft. „Die schaffenden Kräfte“ von Kurt Robbel (1909–1986) z.B.: „Aber seine Botschaft, Arbeit und Erholung gehören zusammen und das Miteinander der jungen Menschen wirkt durch die radikale Stilisierung plakativ und erhält etwas unbeholfen Naives.“

Forscht, bis ihr wisst“ von Arno Mohr (1910-2001) wird beschieden: „Figuren und Landschaft wirken zu schlicht und zu lakonisch für das monumentale Format.“ Willi Sittes (1921-2013) „Die rote Fahne – Kampf, Leid und Sieg“ geht laut Kurator Michael Philipp „eine unübersichtliche Verbindung von barockem Pathos und ideologischer Agitation ein“.

Wenn Kommunisten träumen“ von Walter Womacka (1925-2010): „Persönliches Glück, Familie am Strand – das Ideal der Familie, das die Utopie der sozialistischen Gemeinschaft verkörpern sollte – eine wenig überzeugende Allegorie:“ Auch der im Bildvordergrund stehende Junge kriegt sein Fett weg: „Der Junge verkörpert die Neugier der kommenden Genration – er betrachtet einen Käfer auf seiner Hand, und dieses Element verleiht dem Bild eine kitschige Note.“

Martin Kippenberger beauftragte einen Plakatmaler, seine Foto-Serie „Lieber Maler male mir …” in ein größeres Format zu übersetzen. Das Ergebnis sehen die Ausstellungsmacher so: „Er inszenierte sich in diesen Selbst- und Fremdbildern als Zeitzeuge der deutschen Teilung.“ Ja wenn das der Künstler gewusst hätte! Das gezeigte Bild zeigt (vermutlich) ihn an einem Souvenirstand zwischen Plakaten zum 30. Jahrestag der Gründung der DDR. Keine Mauer, kein Grenzsoldat weit und breit. Aber beim Stichwort „DDR-Gründung“ schreit es in den Ohren der Wessi-Kuratoren natürlich sofort: Teilung!

Und dann wundern sie sich, die Kuratoren, die aus ihren Denkschablonen nicht herauskönnen (Märkische Allgemeine, 01.02.18): „Viele Besucher mit DDR-Sozialisation hätten mit ihren Texten ein Problem gehabt“ – „oberlehrerhaft“ oder „Siegermentalität“ lauteten die Gästebuch-Einträge – nicht zu fassen! Und die derart „unverstandenen“ Kuratoren tun ihre Überraschung kund, „wie verbissen viele Besucher vorgefasste Meinungen verteidigt haben“. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man lachen über so viel Verblendung.

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