Maulkörbe durch Sprechtabus – Die Zerstörung der Debattenkultur durch sogenannte „Politische Korrektheit“

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Debatten der heutigen Zeit bestehen allzu häufig aus dem Herunterbeten auswendig gelernter Dogmen, wie etwa: Toleranz, Diversität, Respekt, religiöse Vielfalt, Identitätsunterschiede und viele weitere. Um diese Dogmen nicht zu verletzen, wird über sie entweder gar nicht oder nur positiv gesprochen. Das Ergebnis ist lediglich, dass über Probleme nicht gesprochen wird und sie somit ungelöst bleiben. Dadurch wird die Lage nur noch schlimmer. In diesem Artikel sollen Sprechtabus angesprochen und durchbrochen werden. Moliére schrieb in seinem „Der Geizhals“, dass Offenheit schlecht bezahlt wird1. Damit hat er leider recht, bis auf den heutigen Tag. Dennoch sehe ich mich dazu genötigt offen über angesammelte Probleme zu sprechen, die in der Öffentlichkeit tabuisiert worden sind in den vergangenen Jahren.

Nationalstolz

Ein Sprechtabu ist es, Nationalstolz zu empfinden. Auschwitz ist kein Grund dafür, wie die DDR beweist. Deutschland ist mehr als zwölf Jahre Hitlerfaschismus. Entsprechend braucht Deutschland auch ganz eindeutig eine Leitkultur – keine Nation kommt ohne eine solche aus. Kulturlosigkeit ist Barbarei. Es kommt darauf an, dass man sich Gedanken darüber macht, wie diese deutsche Leitkultur aussehen soll. Indem antideutsche Kreise gegen eine deutsche Leitkultur per se sind und die bloße Debatte darüber versuchen zu tabuisieren, wird entweder Migranten kein soziokulturelles Leitbild geboten oder aber man überlässt konservativen Kreisen damit praktisch das Feld. Wir sind nun einmal Deutsche und Leben in Deutschland. Es gibt kein Antideutschland. Wir sollten, wie man es in der DDR tat, eine fortschrittliche deutsche Kultur zum Leitbild machen. Der genaue Inhalt kann hier nicht im Detail elaboriert werden. Es gibt aber auch zu diesem Themenkomplex ein eher tagespolitisches Problem.

Man kann vom Lied der Deutschen halten, was man möchte. Persönlich halte ich diese auf eine Strophe verkürzte Nationalhymne für nicht mehr zeitgemäß. Dennoch verdient dieses deutsche patriotische Lied des 19. Jahrhunderts keine Schändung. Im Jahre 2018 schlug die damalige Gleichstellungsbeauftragte des Familienministeriums Kristin Rose-Möhring eine Änderung der bundesdeutschen Nationalhymne vor. „Vaterland“ sollte durch „Heimatland“, „brüderlich“ durch „couragiert“ ersetzt werden2. Diese Vorschläge sind damals abgelehnt worden. Für die Zukunft kann man aber nicht ausschließen, dass dies so bleiben wird. Diese Änderungen könnten in die Richtung gehen, wie das digitale Satireblatt „Postillion“ am 7. März 2018 die oben genannten Vorschläge aufs Korn nahm. Im „Lied der Deutschen, aber auch aller anderen“ heißt es unter anderem:

Vielfalt, Gleichheit und Korrektheit
für das deutsche Heimatland, aber auch für andere Länder natürlich!
Danach lasst uns alle streben – also nicht als Vorschrift gemeint, aber es wäre schön –
brüderlich, schwesterlich sowie queer oder geschlechtsunspezifisch ersten Grades verwandt, mit Herz und Hand und anderen Körperteilen, die genauso nützlich sind!“
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Wie man weiß, kommt nach der Satire die Realsatire. Es ist nicht auszuschließen, dass eine derartige Umschreibung der Nationalhymne in Deutschland geschehen könnte. Schließlich haben es andere Länder vorgemacht.

Abtreibung

Das Thema Abtreibung scheint zu einem Tabu geworden zu sein, wenn man sich gegen sie ausspricht. Dieses Thema ist in den letzten Wochen wieder hochgekocht, als das Oberste Gericht der USA die Entscheidung von 1973 gekippt hatte, die Abtreibungen erlaubte4. Die deutschen Medien waren voller Bedauern über dieses Urteil. Gleichzeitig wurde in der BRD der Paragraph 219a des Strafgesetzbuchs aufgehoben5, der ein Werbeverbot für Abtreibungen beinhaltete. Dies wurde aber auch gegen medizinische Informationen durch Ärzte verwendet. Paragraph 218 des Strafgesetzbuchs verbietet formell die Abtreibung6. Formell! Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche ist Abtreibung faktisch straffrei. Die Formel dafür lautet: „Rechtswidrig, aber straffrei.“7 Es besteht derzeit noch keine Einigung darüber, ob Paragraph 218 abgeschafft werden wird. Innerhalb der SPD gibt es aber Stimmen, Abtreibung zu einem Grundrecht zu erheben. So zum Beispiel innerhalb der SPD Sachsen8. Mein Körper, meine Entscheidung!“ ist der Slogan der liberalen Abtreibungsbefürworter. Ein Problem dabei ist, dass über das ungeborene Kind geredet wird, als sei es gar kein Mensch. Dabei beginnt das Leben mit der Befruchtung einer Eizelle durch ein Spermium. Am 28. Mai 1993 schrieb das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum Paragraphen 218 des Strafgesetzbuchs: Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.“9 Ich sage es nur ungern, aber ein bundesdeutsches Gericht hat damit einmal ein menschliches Urteil gefällt.

Die Grünen-Politikerin Laura Sophie Dornheim sagte in einem Interview mit dem „Stern“: „Die Übernahme durch die Krankenkassen ist wahnsinnig wichtig, weil das zur Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen beiträgt und zeigt, dass diese Teil der Gesundheitsversorgung sind.“10 Eine „Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen“ mag zwar eine westlich-liberale Utopie von Libertins sein, es wäre aber humanistisch und demographisch gesehen gleichermaßen eine Katastrophe. Der Wert eines Menschenlebens, der ohnehin schon massiv unter dem Zynismus der bürgerlichen Ideologie gelitten hat und leidet, würde damit auf praktisch null sinken. Vor allem werden die meisten Abtreibungsbefürworter nicht mit den blutigen Folgen konfrontiert.

Sabrina Odebrecht, eine Psychologin, die der RBB zum Thema Abtreibung interviewte, machte folgende Aussage: Ich finde es unerträglich, dass Frauen in dieser schwierigen Situation mit Bildern von Föten belästigt und unter Druck gesetzt werden.“11 Das ist eine Heuchelei, wenn man Frauen nicht mit der harten Realität vorab konfrontiert. Das ist so, als wolle man als Fleischkonsument sich keine Schlachtungsvideos anschauen, weil in ihnen gezeigt wird, wie das Stück Fleisch aussah, als es noch lebte. Letztendlich tötet eine Abtreibung ein Kind. Das wird aber bagatellisiert. Die CDU-Politikerin Julia Klöckner kritisierte ein Tanzvideo der FDP zur Abschaffung von Paragraph 219a des Strafgesetzbuchs, weil dies das Leben von Ungeborenen banalisiere12. In diesem Punkt hat sie Recht, entgegen dem heutigen Trend.

Eine ziemliche Ausnahme zum heutigen Trend bildet auch ein Beitrag des „Spiegel“ aus dem Jahre 2020 über ein Pärchen, das durch eine Schwangerschaft zusammengeschweißt wurde. Vorher waren beide bloß in einer „Freundschaft Plus“. Als die Freundin schwanger wurde wandte sie sich gegen eine Abtreibung, weil sie sich klarmachte: Das Kind in mir kann nichts dafür, dass ich mein Leben nicht im Griff habe.“13 Wie viele westlich-liberal geprägte Leute würden in einer solchen Situation eine Abtreibung aufdrängen! Das liegt daran, dass Sexualität und Reproduktion völlig entkoppelt zu sein scheinen. Lenin kritisierte am Konzept der „freien Liebe“ gegenüber Inés Armand, dass dies nicht bedeuten solle, dass es keine Ernsthaftigkeit in den Beziehungen mehr geben würde, dass die Frau vom Kinderkriegen befreit sei und die Freiheit zum Ehebruch bestehen würde14. Diese Punkte waren aber nicht die einzige Argumentation Lenins in diese Richtung. Später wandte sich Lenin in einem Gespräch gegen die These, dass die Befriedigung des Sexualtriebes für Kommunisten idealerweise so belanglos sei wie das „Trinken eines Glas Wassers“15 (Glas-Wasser-Theorie). Lenin nannte diese These „unmarxistisch und asozial“16. Aus Lenins Sicht stammt die Überbetonung der sexuellen Freiheit aus dem Kreis der Intellektuellen und habe in einer proletarischen Partei keinen Platz17. In der Abtreibungsfrage sind die meisten Genossen heutzutage, das muss man in aller Offenheit sagen, durch und durch verbürgerlicht. Abtreibung wird heutzutage als „Glas Wasser“ betrachtet.

In der Abtreibungsfrage zeigt sich, dass der bürgerliche Humanismus sich längst selbst aufgegeben hat. Die fortschrittlichen Werte, die die Bourgeoisie einst aufstellte, sind völlig verwittert und völlig entmenschlicht. Der Humanismus ist über Bord geworfen und der Liberalismus herrscht auf dem Gebiet der ideologischen Sphäre vor. Das Schlimmste ist, wenn man sieht, dass selbst Genossen diese Abarten des westlichen Liberalismus für „progressiv“ halten. Manche sagen: „Aber in der DDR waren Abtreibungen auch legal!“ Das stimmt nur halb. Die DDR erlaubte Abtreibungen unter Erich Honecker ab dem Jahre 1972, weil in der BRD unter Willy Brandt das Abtreibungsverbot faktisch ausgehebelt worden ist. Man kopierte in der DDR damals also bloß die BRD und versuchte sie noch zu „überholen, ohne einzuholen“. Das spiegelte sich in den niedrigen Geburtenraten seit den 70er Jahren wider. Die Zulassung der Abtreibungen war ein schwerer Fehler, deren Konsequenz der sogenannte „demographische Wandel“ ist oder, ohne begriffliche Schnörkel ausgedrückt: Das langsame Überaltern und Absterben des Volkes. Fast die gesamte westliche Welt unterliegt einer zu niedrigen Geburtenrate und selbst „Drittweltländer“ wie Malaysia und Thailand haben teils seit Jahrzehnten keine ausgeglichene Geburtenrate mehr. Dadurch dass die Kinderaufzucht als „Privatsache“ betrachtet wird und ein hedonistischer Lebensstil als „emanzipiert“ und „progressiv“ gilt nach neoliberalen Standards, werden die demographischen Probleme nicht gelöst und die Abtreibungsgegner kategorisch zu „Feinden der Freiheit“ erklärt. Da die Sexualität von der gesellschaftlichen Reproduktion völlig entkoppelt zu sein scheint, gibt es auch in Fragen der Geschlechtsidentität kein Halten mehr.

Genderismus

Ein weiteres Sprechtabu ist es, über Identitätsfragen kontrovers zu diskutieren. Ganz vorne dabei ist der Genderismus. Von den USA ist es herübergeschwappt: Die Identifikation mit einer ganzen Reihe von sogenannten „sozialen Geschlechtern“. Das biologische Geschlecht wird geleugnet und als „sozial konstruiert“ abgetan. Das ist offensichtlich absurd, wenn man nicht auf genderistische Weise verblendet ist. Genderisten verhalten sich nämlich wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ und wollen die offensichtliche Blöße ihrer Behauptungen nicht einsehen. Es ist bezeichnend, dass dieses Gebiet nicht naturwissenschaftlich beackert wird, sondern von bürgerlichen Gesellschaftswissenschaftlern. Sie sind es, die solche unwissenschaftlichen Anschauungen verbreiten18. Die ganze Angelegenheit ist so absurd, dass man am besten nur sagt: „Habt ihr Augen und seht nicht und habt Ohren und hört nicht?“19 Genauso kann man dies über die Evaluation des Erfolgs von Gender-Maßnahmen sagen. Im Dezember 2018 wurde die Einführung der Kategorie „drittes Geschlecht“ vom Bundestag beschlossen20. Dieser Beschluss wurde damals groß gefeiert von der Gender-Lobby. Bis zum 30. September 2020 trugen aber lediglich 394 entweder „divers“ oder „keine Angabe“ bei der Geschlechtsidentität im Pass, darunter 19 Neugeborene. Bis zum gleichen Stichtag trugen aber 1191 Personen sich von „weiblich“ auf „männlich“ um oder umgekehrt21. Das bedeutet, dass diese Gesetzesänderung nichts erreicht hat, außer den Wasserkopf der deutschen Bürokratie noch weiter aufzublähen.

Abgesehen von dem „sozialen Geschlecht“ gibt es natürlich auch die Transsexualität. Dazu sei lediglich angemerkt, dass eine optische Operation und das Einnehmen von Hormonen des jeweils anderen Geschlechts einen Körper nicht tatsächlich das Geschlecht wechseln lassen. Geschlechtsorgane und Keimdrüsen sind einem nun einmal angeboren. Das sind Allgemeinweisheiten, die man selbst im Biologieunterricht der Schule mitbekommen haben sollte, selbst wenn man sich sonst mit dem Thema nicht auseinandergesetzt haben sollte. Wer mehr erfahren möchte, sollte sich auf Michael Kubis Blog „Internet-Evoluzzer“22 erkundigen und die politischen Schlussfolgerungen der CPGB-ML23 lesen, die zum Thema Genderismus getroffen worden sind. Mit dem Genderismus ist das Thema Identität noch nicht ganz abgehandelt.

Euphemismusspirale

Natürlich gibt es im Hinblick auf Identitätsfragen auch Tendenzen zur Überdehnung des Rassismusbegriffs und einer daraus folgenden scheinbaren Übertoleranz. Dies verursachte zum Beispiel die versuchte Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin24, weil Mohr als eine rassistische Bezeichnung für Schwarze gesehen wird. Das Gegenteil war aber bei der historischen Benennung der Straße der Fall. Mohr, ein altdeutscher Begriff für Maure, war ein nicht negativ konnotierter Begriff für Schwarze. Dies wird aber heutzutage anders gesehen.

Das dadurch verursachte Problem ist die sogenannte Euphemismusspirale. Ein alter Begriff, den man als negativ empfindet, wird durch einen neuen Begriff ersetzt, der positiv sein soll. Anstatt zu hinterfragen, wieso ein Begriff negativ gesehen wird (oder oftmals nur historisch negativ gesehen wurde), wird ein neuer Begriff geprägt. Ist das gesellschaftliche Problem hinter dem Begriff nicht gelöst worden, dann nimmt der neue Begriff einfach die negative Konnotation des alten in sich auf und das Sprachspiel beginnt von neuem. Ein Beispiel dafür ist der Begriff Zigeuner.

Die Bezeichnung Zigeuner wird zumeist als rassistisch oder zumindest als abwertend gesehen. Stattdessen wird von offizieller Seite die Bezeichnung „Sinti und Roma“ verbreitet. Ein Problem an dieser neuen Doppelbezeichnung ist aber, dass er nicht alle Subethnien der Zigeuner umfasst, sondern lediglich die zwei größten. Die Sinti-Allianz Deutschland kritisiert diesen ungenauen Doppelbegriff und dessen falsche Verwendung im Alltag25. Die Zigeunersoße wurde 2020 im Fertiggerichtsortiment begrifflich ersetzt. Sie heißt nun „Paprikasoße nach ungarischer Art“. Wollen die Hersteller damit etwa sagen, dass Zigeuner mit den Ungarn identisch sind? Jedenfalls begrüßte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma die Umbenennung, aber sprach sich eher dafür aus, eine Verwendung des Wortes Zigeuner im negativen Kontext zu ahnden26. Die Sinti-Allianz Deutschland lehnte die Umbenennung ab und forderte, dass der Begriff Zigeuner wertfrei verwendet wird27. Die Sinti-Allianz argumentiert deutlich rationaler. Es ist besser, wenn der Zigeunerbegriff als einfacher ethnischer Begriff verwendet wird und die Ressentiments gegenüber Zigeunern ausräumt, denn der Begriff Sinti und Roma sorgte keineswegs für ein Umdenken bei denjenigen, die es nötig hätten. Die NPD machte vor ein paar Jahren Wahlwerbung mit dem Slogan: „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma!“28 Das zeigt doch, dass der Begriff Sinti und Roma bei Nazis mit dem Zigeunerbegriff gleichgesetzt wird, weil es sich um dieselben Menschen handelt. Und eben diese Menschen sind ihr Hassobjekt, egal wie man sie bezeichnet. Neue Begriffe lösen gesellschaftliche Probleme genauso wenig, wie des Kaisers neue Kleider das Bekleidungsproblem. Nun zum nächsten Problemfeld.

Kulturelle Aneignung

Kulturelle Aneignung. Spätestens seitdem Ausschluss der Musikerin Ronja Maltzahn von einer Veranstaltung von Fridays for Future wegen ihrer Dreadlocks29 ist dieses Thema über den Atlantik nach Deutschland geschwappt. Grund dafür war laut FFF, dass diese Veranstaltung „antikolonialistisch und antirassistisch“ sei30. Im Prinzip ist es aber sehr rassistisch, wenn man es verbietet, dass die Menschen voneinander lernen. Anstatt solche Einflüsse nicht übernehmen zu wollen aus einer offen chauvinistischen Mentalität heraus, wird diese nun verpackt: Man solle von anderen Kulturen nicht lernen, weil man sie damit sozusagen „bestehlen“ würde31. Das ist so, als würde man behaupten, eine Biene „stehle“ Nektar und Samen einer Blume. Dabei können erst dadurch Früchte entstehen. Eigentlich sollte man kulturelle Aneignung als etwas Positives ansehen. Das wird aber leider nicht nur von überwiegend weißen Identitätspolitikern anders gesehen.

Die deutsch-vietnamesische Rapperin Nashi44 beschwerte sich in einem RBB-Beitrag darüber, dass Buddhas im nichtreligiösen Kontext verwendet werden, denn sie kennt Buddhas sonst nur aus dem Tempel, den sie mit ihrer Familie besucht. Sie lehnt es ab, dass man den Buddha kulturell aneignet32. Worin Nashi44 nicht ehrlich ist: Der Buddhismus in Vietnam ist auch eine kulturelle Aneignung aus Indien. Die einheimische Religion der Vietnamesen ist ein animistischer Ahnenkult. Nicht nur den Buddhismus eigneten sich die Vietnamesen kulturell an. Konfuzianismus und Daoismus wurden aus China übernommen. In vietnamesischen Märchen taucht der Jadekaiser auf33, obwohl dieser eine chinesische Gottheit ist. Kurzum: Nashi44 sitzt im Glashaus und wagt es, mit Steinen zu werfen. Es gibt keine Kultur, die ohne äußere Einflüsse existiert. Auch das Christentum ist in Europa strenggenommen nicht heimisch – es wurde aus dem Nahen Osten eingeführt, wie der Buddhismus aus Indien nach Ostasien kam.

Kulturelle Aneignung findet eben nicht nur im Westen statt. China kopierte mit dem Sun-Zhongshan-Anzug (im Westen auch „Mao-Anzug“ genannt) zum Beispiel den westlichen Kleidungsstil in chinesischer Art in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Abwandlungen dieser Anzüge fanden auch in Korea und Vietnam Verbreitung. Im heutigen Japan tragen junge Leute ein christliches Kreuz als Schmuck – als Halskette oder als Ohrringe. Es gibt auch auf den japanischen Ryukyu-Inseln Märchen, die aus China übernommen worden sind34. Das Lied „Shanti Shanti Shanti“ der japanischen Band Babymetal weist klaren indischen Einfluss auf. Sollte man dies etwa untersagen wollen, anstatt sich daran zu erfreuen, dass ausländische Kultur Interesse in solchen Ländern findet? Man kann doch nicht bestreiten wollen, dass das gegenseitige Lernen der Völker neue Kunstformen schuf, neue Gerichte und das Wissen der Welt verknüpfte. Es wäre reaktionär, wollte man das Rad der Geschichte zurückdrehen, sodass jedes Volk in einem „kulturellen Homeland“ vor sich hin vegetiert ohne äußere Einflüsse, wie die schwarzen Völker in der südafrikanischen Apartheid. Apropos Apartheid!

Israel

Kritik an Israel ist Tabu. Das kann man nicht zuletzt an der Entfernung und damit faktischen Zensur des Bildes „People´s Justice“ auf der Documenta 15 in Kassel sehen35. Die bürgerlichen Politiker und Medien empören sich darüber, dass israelische Geheimdienstagenten und Soldaten dort mit Schweinenase und SS-Helmen dargestellt werden, aber keiner von ihnen empört sich darüber, dass Israel mit faschistischen Methoden einen Völkermord an den Palästinensern betreibt. Die Documenta-Chefin Sabine Schormann wurde wegen dieser Angelegenheit von ihrem Amt entbunden36. Will man einen neumodischen Begriff benutzen, so lautet dieser: Cancel Culture. Das ist auch nicht das erste Mal, dass entsprechende Maßnahmen getroffen worden sind. Als der israelische Antizionist Gideon Levy im Jahre 2017 einen Vortrag in städtischen Räumlichkeiten hielt, gab es nicht nur pro-zionistische Gegenproteste, sondern auch der Münchener Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erklärte, dass die Stadt in Zukunft solche Veranstaltungen nicht mehr erlauben werde37. Israels faschistische Politik steht außerhalb jeglicher Kritik. Die Lehre der BRD aus dem Hitlerfaschismus lautet nicht, wie in der DDR „Nie wieder Faschismus!“, sondern „Nie wieder Kritik an Israel!“. Dabei ist der israelische Hass gegenüber den Palästinensern auch antisemitisch – schließlich gehört das Arabische genauso zu den semitischen Sprachen wie das Hebräische auch. Israel und Judentum werden in Deutschland wie Synonyme benutzt. Dabei hat das Judentum mit Israel eigentlich nicht viel zu tun. Die meisten Juden auf der Welt leben außerhalb Israels und die Hälfte der Juden in Israel sind säkularisiert38. Juden sind mit Israelis nicht gleichzusetzen – das eine ist eine Religionsgemeinschaft, das andere eine Nationalität.

Judentum

Aber auch Religionskritik am Judentum sollte nicht tabuisiert werden. Karl Marx wagte es früher das Judentum zu kritisieren und den Kapitalisten sogar vorzuwerfen, sie würden einen „Judengeist“ besitzen39, womit er natürlich auf ein vorherrschendes Klischee zurückgriff. Man stelle sich vor, heutzutage wurde jemand so reden! Er würde sofort als „antisemitisch“ abgestempelt werden und mit ihm zu reden würde eine sogenannte „Kontaktschuld“ verursachen. Wie man beim Fall Gil Ofarim ersehen konnte, gilt bei einer falschen Anschuldigung wegen angeblichen Antisemitismus nicht die Unschuldsvermutung, sondern man muss beweisen, dass man nicht schuldig ist. Eine Überwachungskameraaufnahme belegt, dass Ofarim gelogen hat, dass er wegen einer Davidsternkette beschimpft worden sei. Die Aufnahme belegte, dass er gar keine trug. Darin zeigt sich das vergiftete Debattenklima. Jedenfalls sollte Kritik am Judentum als Religion auch nicht als „antisemitisch“ abgestempelt werden. Im Grunde genommen ist auch jede Kritik am Christentum eine Kritik am Judentum, wenn es die Bibel betrifft. Schließlich teilen sich beide Religionen mit dem Alten Testament dieselben heiligen Schriften und dazu sehr viele religiöse Konzepte. Das heißt im Prinzip, dass, wenn man die jüdische Religion außerhalb jeglicher Kritik stellen will, das Christentum ebenso unter einen Schutzschirm stellen müsste, da jede grundlegende Kritik am Christentum einen durchschlagenden Kollateralschaden am Judentum verursacht.

Islam

Ähnlich ist es ein Tabu wie das Judentum, ist es, den Islam zu kritisieren. Es sei dem Leser an dieser Stelle die Vorwarnung gegeben, dass dieser ein weites Feld der Kritik ausmacht. Das liegt daran, dass dieser die wohl am meisten offenen Baustellen besitzt, am meisten in politischen Debatten über Migrationsfragen angerissen wird und durch die politischen Bänke hinweg außerhalb der Kritik gestellt wird. Es gilt als „rechtsextrem“ ihn zu kritisieren – und das, obwohl Islamisten in ihren Forderungen und Taten selbst rechtsextrem sind, nämlich islamische Klerikalfaschisten.

Der Islam nimmt ein weites Feld ein, obwohl er „nur“ eine Anhängerschaft von die etwa 5-7% der deutschen Bevölkerung hat. Das sind um die 5,5 Millionen. Deutschland hatte im Jahre 2020 22 Millionen Einwanderer, ob mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Praktisch sämtliche Muslime sind Einwanderer, bis auf einige wenige Konvertiten. Das bedeutet, dass fast drei Viertel der Migranten keine Muslime sind. Dennoch nimmt der Islam den Hauptplatz in der Migrationsdebatte ein. Wieso ist dem so? Hamed Abdel-Samad, gebürtig aus Ägypten, führt das darauf zurück, dass Muslime am lautstärksten Forderungen stellen40. Darunter fällt zum Beispiel das opportunistische Einknicken an einigen Schulen, dass kein Schweinefleisch mehr ausgegeben wird, entweder, weil muslimische Eltern sich beschwert haben oder aus vorauseilendem Gehorsam, der zur Charakterschwäche der Deutschen gehört. Andere Migrantengruppen stellen nicht solche Forderungen. Oder gibt es etwa genauso lautstarke buddhistische Eltern, die ein generelles Fleischverbot an Schulkantinen fordern, weil im Buddhismus Fleischkonsum als Sünde gilt? Sie gibt es nicht.

Allzu häufig wird in Debatten der Koran mit der Bibel gleichgesetzt, um ihn zu relativieren. Ein Vergleich, der nicht nur hinkt, sondern auch sachlich falsch ist. Die einzige Gemeinsamkeit beider Bücher ist, dass sie als heilige Schriften gelten. Der Rest unterscheidet sich: Der Koran ist im Wesentlichen ein Monolog Mohammeds über 23 Jahre hinweg, während die Bibel aus verschiedenen Offenbarungen von verschiedenen Personen zu verschiedenen Zeiten besteht; der Koran gilt als das „unmittelbare Wort Gottes“, während die Bibel die menschliche Niederschrift von göttlichen Geboten bildet, neben vielen Erzählungen, aus denen keine unmittelbaren Handlungsaufforderungen erfolgen; beim Koran gilt primär die Chronologie der Suren, nicht deren spätere Sortierung nach Länge, während bei der Bibel es sich bei vielen Büchern über in die Zeit zurückversetzte Pseudoepigraphie handelt.

Die Unterschiede zwischen Koran und Bibel werden auch in ihren sprachlich formulierten Zielen offenbar. Die Bibel enthält viele Geschichten und Parabeln. Im Koran werden manchmal biblische Geschichten in stark entstellter Weise zitiert (Mohammed war Analphabet41, also konnte er diese Geschichten nur gehört haben). Zum großen Teil aber handelt es sich um Anordnungen Mohammeds, die durchaus im politischen Befehlston zu verstehen sind, bis hin zu wüsten Beschimpfungen.

Bekanntlich ist männliche Homosexualität laut dem Koran verboten und als „verbrecherisch“ angesehen42. Als Strafe darauf steht Züchtigung, bis die erwischten Schwulen von ihrer Sexualität ablassen43. Dennoch braucht man nicht zu glauben, dass Homosexualität in islamischen Texten nicht auch manchmal positiv erwähnt worden ist. Bei den Sufis gibt es mehrere Texte mit homoerotischen Beziehungen, etwa in der „Konferenz der Vögel“, wo sich ein Bettler in den Prinzen Ayaz unglücklich verliebt44. Jedenfalls bestreitet nicht einmal eine Reformmuslimin wie Seyran Ates, dass der Koran Homosexualität verbietet45. Sie bemüht nicht den abgedroschenen Satz „Das ist alles Auslegungssache.“, sondern akzeptiert die Suren als Fakt.

Niemand kann sagen, dass das Kopftuch einen Hauch von Feminismus hätte und aufgrund der Selbstbestimmung der Muslimas getragen werden würde. Der Koran gebietet nämlich die Verschleierung. In Sure 33, 59 steht geschrieben: Prophet! Sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen (wenn sie austreten) sich etwas von ihrem Gewand (über den Kopf) herunterziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, daß sie (als ehrbare Frauen) erkannt und daraufhin nicht belästigt werden. Allah aber ist barmherzig und bereit zu vergeben.“46 Das Kopftuch ist also bloß eine Pflicht als strenggläubige Muslima. Das Kopftuch ist ein Zeichen der religiösen Rückständigkeit. Das zeigt sich alleine darin, dass Mohammeds Begründung zur Einführung der Verschleierung die gewesen ist, die freien muslimischen Frauen von den unverschleierten Sklavinnen zu unterscheiden. Heutzutage sind diese Verhältnisse praktisch umgekehrt. Aber nicht nur in der Kopftuchfrage werden Frauen unterdrückt.

Der Koran erlaubt ausdrücklich, dass Männer ihre Ehefrauen schlagen dürfen. Sure 4, 34 besagt: „Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah sie (von Natur vor diesen) ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen (als Morgengabe für die Frauen) gemacht haben. Und die rechtschaffenen Frauen sind (Allah) demütig ergeben und geben acht mit Allahs Hilfe auf das, was (den Außenstehenden) verborgen ist. Und wenn ihr fürchtet, daß (irgendwelche) Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch (daraufhin wieder) gehorchen, dann unternehmt (weiter) nichts gegen sie! Allah ist erhaben und groß. “47 Das ist eine der letzten Suren. Auch zeigt sich hier die festgeschriebene Diskriminierung der Frauen im Islam, nämlich, dass die Frauen dem Mann zu gehorchen haben und ihm untergeordnet sind.

Sure 9, 5 besagt: Und wenn nun die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo (immer) ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf!“48 Manche mögen denken, mit „Heiden“ wären nicht Christen und Juden gemeint. Das mag für die mekkanische Periode stimmen. In der medinischen Periode schimpfte aber Mohammed über Christen und Juden. Über Christen sagte Mohammed: „Ungläubig sind diejenigen, die sagen: ´Allah ist einer von dreien.´“49 Es ist klar, dass die Christen gemeint sind, denn er bezieht sich hier auf die Dreieinigkeitslehre. Zu den Juden sagte Mohammed, als er ihnen die Übertretung des Sabbatgebots vorwarf: „Werdet zu abgestoßenen Affen!“50 Mohammed bezeichnete aber nicht nur Juden so. Er sagte an anderer Stelle, dass Allah Christen und Juden verflucht habe, zornig auf sie sei und sie zu „Affen und Schweinen gemacht“ hätte51.

Dementsprechend galt und gilt der aus der Frühphase stammende Spruch „Ihr habt eure Religion, und ich die meine.“52 in Mohammeds Spätphase nicht mehr. Mohammeds Verhältnis zu Christen und Juden ist mit dem Verhältnis Martin Luthers zu den Juden vergleichbar: In der Anfangsphase beider wurde versucht, diese Gruppen zu den eigenen Anhängern zu konvertieren. Als dies scheiterte, blieb bloßer Hass übrig für diese Gruppen. Entsprechend ist es laut dem Koran Muslimen auch verboten, sich mit Christen und Juden anzufreunden. Sure 5, 51 besagt: „Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht die Juden und die Christen zu Freunden! Sie sind untereinander Freunde (aber nicht mit euch). Wenn einer von euch sich ihnen anschließt, gehört er zu ihnen (und nicht mehr zu der Gemeinschaft der Gläubigen). Allah leitet das Volk der Frevler nicht recht.“53 Und da Sure 5 die chronologisch letzte Sure ist, ist dies im Islam der Weisheit letzter Schluss.

Natürlich mögen manche Islamapologeten sagen: „Aber der Koran hat doch auch ganz nett klingende Stellen!“ Ja, das hat der Koran. Aber fast ausschließlich in den Suren der mekkanischen Periode (also Mohammeds Frühzeit). Aus der medinischen Periode (Mohammeds Spätzeit) stammen die ganzen blutigen Passagen. Was viele nicht wissen: Die Suren des Koran sind nicht der Chronologie, sondern der Länge nach sortiert. Die längste Sure steht am Anfang, die kürzeste am Ende. Es ist also nicht so, dass Sure 1 die erste und Sure 114 die letzte bildet im Zeitablauf, sondern Sure 96 die erste und Sure 5 die letzte bildet54. Geht man also nach der Chronologie der Suren, dann ziehen die Islamreformer vor den Islamisten stets den Kürzeren. Das machte Hamed Abdel-Samad in seinen Büchern immer wieder deutlich, ganz besonders in „Der Koran – Botschaft der Liebe/Botschaft des Hasses“.

Der Koran strotzt vor Beleidigungen, Blutrünstigkeit und Befehlston Mohammeds, die er angeblich von Allah empfangen habe. Liest man den Koran aber in der Chronologie, so sieht man bloß einen falschen Propheten, der innerlich ein reißender Wolf war55, einen Tyrannen vom Typus Jie von Xia. Mohammed benutzt Allah als Vorwand für politische Eroberungszüge und die eigene Bereicherung, so wie es Dschingis Khan laut der „Geheimen Geschichte der Mongolen“ tat, als er den Himmelsgott Tenger als Vorwand benutzte. Dschingis Khan sagte einst zu einem seiner Gefolgsleute: „Nimm das Heer in strenge Zucht, bete zum Ewigen Himmel und versuche das Tumat-Volk zu unterwerfen!“56 Und auch Dschingis Khan hat einen heiligen Kulturort, der schon vor seiner Zeit im schamanistischen Glauben der Mongolen als heilig galt: Den Berg Burchan Chaldun. Dschingis Khan sagte, dass dieser Berg ihm das Leben rettete und er deshalb ihm jeden Tag Opfer und Gebete entgegenbringen würde und außerdem noch die Kinder seiner Kinder sich daran erinnern sollen57. Das was bei Mohammed die Kaaba58 ist, ist bei den Tengristen der Berg Burchan Chaldun in gewisser Weise. Natürlich sind das Analogien vom Islam zum Tengrismus, die hinken. Dennoch kann man gewisse Gemeinsamkeiten herausarbeiten: Die Aussagen von Mohammed und Dschingis Khan wurden erst Jahrzehnte nach ihrem Tode niedergeschrieben; Islam und Tengrismus sind monotheistisch; beide Religionen besitzen eine heilige Stätte, die sie aus Vorgängerreligionen übernommen haben; bei beiden taucht ihr jeweiliger Gott nur auf, wenn sie eine Rechtfertigung für ihre Interessen, ob politisch oder persönlich, benötigen.

Hamed Abdel-Samad, der Sohn eines orthodox-sunnitischen Imams, ehemaliger Muslimbruder und heute Atheist ist, kritisiert den Islam und vor allem den Inhalt des Korans sehr scharf, aber weist immer wieder in seinen Vorträgen darauf hin, dass die meisten Muslime dennoch kein „Koran auf zwei Beinen“ sind. Zum Glück nicht! Aber man man kommt dennoch nicht drum herum den Koran kritisch zu beleuchten.

Mit dem Koran ist das Problem des Islam aber noch nicht klar umrissen. Es wird ja oft angeführt, dass im Koran nirgends geschrieben stehe, dass Apostaten zu töten seien. Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass der Koran nicht alleinig ausschlaggebend ist für die Inhalte des islamischen Glaubens. Es gibt ganze Bände voller Hadithe (Mohammed-Zitate, die nicht im Koran stehen), welche Regeln, Anweisungen und Hintergrundinformationen zu Koranstellen enthalten. Es gibt für die Hadithe im Christentum kein Äquivalent. Im Judentum käme der Talmud dem wohl am nächsten, wobei der Talmud eine Kommentarsammlung von jüdischen Geistlichen zum Tanach sind, während die Hadithe Aussagen von Mohammed sind, mit denen der Koran verständlicher ausgelegt werden soll. Oftmals enthalten die Hadithe aber weitere religiöse Anweisungen, die im Koran nicht geschrieben stehen und bilden somit eine Art „zweiten Koran in Einzelaussagen“. Die meisten Hadithsammlungen liegen nicht in deutscher Übersetzung vor. Alleinig die Hadithsammlung al-Buchari (eine der wichtigsten Hadithsammlungen des sunnitischen Islam) erschien im Reclam-Verlag in Auswahl. Das heißt, es gibt keine einzige vollständig auf Deutsch vorliegende Hadithsammlung. Es ist also kaum ein Wunder, dass das deutsche Publikum kaum eine Chance hat, sich mit ihnen zu befassen. Deshalb seien hier ein paar bekannte Beispiele angeführt, die von Unwissenden gerne dem Koran zugeschrieben werden, und denen Islamapologeten entsprechend antworten: „Das steht aber gar nicht im Koran drin!“ Und dazu noch ein paar unbekannte Hadithe mit interessantem Inhalt.

So heißt es immer wieder, dass der Koran nirgends dazu aufrufe, Apostaten zu töten. Das ist richtig. Das heißt aber nicht, dass die Ermordung von Apostaten nicht eine religiöse Regel für gläubige Muslime wäre. In der Hadithsammlung al-Buchari steht geschrieben: „Wer vom islamischen Glauben abfällt, der ist zu töten.“59 Das al-Buchari ist eine der wichtigsten sunnitischen Hadithsammlungen und gilt als die authentischste Sammlung von Mohammed-Zitaten außerhalb des Korans. Man kann solche Aussagen nicht einfach abtun.

Das sieht man alleine daran, dass die Hadithe auch Regeln enthalten, die etwa in Saudi-Arabien buchstäblich umgesetzt werden. So fordert ein Hadith aus dem al-Buchari 40 Peitschenhiebe für den Konsum „berauschender Getränke“60. Und dies ist nur die weltliche Seite der Bestrafung.

Das al-Buchari schreibt fest, dass Ehebrecher zu steinigen sind61. Viele muslimische Staaten, nicht nur Saudi-Arabien, führen diese Strafe tatsächlich durch. Natürlich mögen Islamapologeten sagen: „Aber in der Bibel steht das doch auch irgendwo so drin!“ Im 3. Buch Mose62 steht tatsächlich die Todesstrafe auf Ehebruch, aber ohne explizite Vorschreibung der Steinigung. Dies ist das Alte Testament. Im Neuen Testament machte Jesus laut dem Johannesevangelium, als eine Ehebrecherin gesteinigt werden sollte, den berühmten Ausspruch: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“63 Hier zeigt sich wieder ein Unterschied zwischen Islam und Christentum: Es stimmt, dass die Bibel einige grausame Strafen enthält, aber andererseits wurden diese später aufgehoben. Im Islam existieren diese Strafen bis heute unwidersprochen.

Frauen dürfen laut dem Koran nicht alleine eine Zeugenaussage tätigen. Zwei Frauen seien so viel wert wie ein Mann bei der Zeugenaussage64. Laut dem al-Buchari erklärt Mohammed dies damit, dass Frauen einen „mangelhaften Verstand“ besäßen65. Es ist also laut dem Koran und den Hadithen unmöglich, dass eine Frau mit dem Mann auf einer Stufe stehen kann. Eine Emanzipation der Frau ist damit nur außerhalb des Islams möglich.

Laut dem al-Buchari behauptete Mohammed, dass Juden und Christen die Bibel verfälscht hätten66. Beim Neuen Testament gibt es tatsächlich im Zuge der Kanonisierung einige stark vermutete Textveränderungen, beim Alten Testament jedoch belegen die Qumran-Schriftrollen, dass das Alte Testament seit seiner Kanonisierung nicht verändert worden ist. Mohammed log also historisch nachweisbar.

In den Hadithen des al-Buchari hetzte Mohammed zum Krieg gegen Juden und Türken.

Zu den Juden sagte er: „Ihr werdet die Juden bekämpfen, bis einer von ihnen Zuflucht hinter einem Stein sucht. Und dieser Stein wird rufen: ´Komm herbei! Dieser Jude hat sich hinter mir versteckt! Töte ihn!´“67 Diese Stelle ist ein sehr offener Beleg für den muslimischen Judenhass. Mohammed ruft offen zur Verfolgung und Ermordung der Juden auf. Es ist deshalb wenig verwunderlich, wenn Holocaustleugnung und Judenfeindlichkeit unter Muslimen besonders weit verbreitet ist.

Zu den Türken sagte er: „Die Stunde des Gerichts wird nicht eintreten, bevor ihr die Türken bekämpft habt. Das sind Menschen mit kleinen Augen, bräunlichen Gesichtern und platten Nasen. Ihre Gesichter sehen aus wie ein Schild, das mit Leder überzogen ist. Und die Stunde wird nicht eintreten, bevor ihr Menschen bekämpft habt, die aus Fell hergestellte Schuhe tragen.“68 Strenggläubige türkische Muslime dürfte diese Aussage entweder national kränken oder sie stellen den Glauben vor ihr nationales Selbstbewusstsein. Eines steht aber fest: Mohammed konnte Türken nicht leiden.

Wenn Abdel-Samad immer wieder davon redet, dass die Hadithe sogar regeln, wie ein „Muslim sich gottgefällig auf der Toilette benimmt“69, so ist das kein Toilettenwitz. Ein Hadith aus dem al-Buchari besagt: „Wenn ihr uriniert, haltet euren Penis nicht mit der rechten Hand! Und wascht eure Genitalien auch nicht mit der rechten! Und ihr sollt nicht in Trinkgefäße atmen!“70 Es ist keine bloße Hygieneregel, es wurden auch jenseitige Strafen angedroht. So beschreibt ein weiterer Hadith, dass Mohammed auf einem Friedhof Wehklagen aus einem Grab hörte und sagte, dass der Betroffene sich „nicht vor seinem eigenen Urin in Acht genommen“ habe71. Ein Toilettengang kann im Islam über Himmel und Hölle entscheiden.

Die versprochenen 72 Jungfrauen für die Dschihadisten stehen auch nicht im Koran, aber in zwei Hadithen der Sammlung at-Tirmidhi. Ein Hadith verspricht lediglich 72 Jungfrauen72, ein anderer zu den 72 Jungfrauen auch noch 80.000 Diener73. Auch hier kann man eine Parallele zu Dschingis Khans Tengrismus ziehen. Es ist zwar keine Belohnung im Jenseits gewesen, aber dennoch: Dschingis Khan gab einem Anhänger, der ihm bei der Erfüllung der Weissagungen Tengers behilflich war, 30 Frauen aus den unterworfenen Stämmen zur Belohnung74. Bei beiden Religionen sticht eine klar patriarchalische Sicht auf die Frauen ins Auge, die diese bloß als Objekte behandelt. Eines muss man dem Tengrismus aber lassen: Er hielt Wort; das kann man vom sehr materialistisch geprägten Jenseits des Islams nicht behaupten.

Jedenfalls sind dies nur ein paar Beispiele für die Wichtigkeit der Hadithen im religiösen Lebens von Muslimen. Es gibt von ihnen so viele, dass man sie unmöglich alle kennen kann. Nicht einmal die sich als strenggläubig sehenden Muslime. Es gibt im muslimischen Umfeld aber noch mehr akute Probleme.

Seyran Ates kritisierte bereits 2007, dass Ehrenmorde im muslimischen Umfeld in Deutschland verharmlost werden. Sie schilderte den Ehrenmord an Sermin U., die von einem Bruder umgebracht worden ist, weil sie ihr Kopftuch abgelegt hat75. Hazal S. Wurde von ihrer Familie ermordet und das deutsche Gericht lehnte es ab, die Tat als einen Ehrenmord zu bezeichnen. Stattdessen wurde dieser Mord als eine Affekttat abgetan76. Wegen solcher Taten forderte Ates, dass muslimische Migranten durch Assimilation den deutschen Ehrbegriff annehmen sollten77. Diese Morde sind schon viele Jahre her und dennoch hören solche Fälle nicht auf. Dies liegt wohl daran, dass sie als bloße „Einzelfälle“ abgetan wurden und werden, wie Ates schon 2007 vorwarf78. Man kann sehen, dass bis heute aus den Warnungen von Seyran Ates nichts gelernt worden ist.

Im Juli 2021 wurde eine afghanischstämmige 34jährige Mutter zweier Kinder von ihren zwei Brüdern (22 und 25 Jahre alt) in Berlin ermordet, weil sie sich zu sehr verwestlicht habe. Seyran Ates forderte, dass Ehrenmorde in der Politik mehr Beachtung finden sollen. Im starken Kontrast dazu behauptete die Berliner Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Die Linke), dass diese Tat kein Ehrenmord, sondern ein „Femizid“ gewesen sei79. Breitenbach behauptete, diese Tat sei „ein Femizid, wie er jeden Dritten Tag in Deutschland vorkomme“ und habe „nichts mit der Nationalität der Männer“ zu tun80. Ahmad Mansour kritisierte in einem Interview: In der Gesellschaft herrscht kaum ein Wahrnehmungsbewusstsein für die Probleme, die es bei der Integration von Migranten gibt. Sehr viele verdrängen oder relativieren diese Probleme. Bei Ehrenmord wird von Femizid gesprochen, vom allgemeinen Phänomen von Gewalt gegenüber Frauen.“81 Auch Franziska Giffey (SPD) übte Kritik an der Aussage der Politikerin der Linkspartei: Nur, wenn wir das tun, wenn Zwangsheirat und Ehrenmorde und auch ihre religiösen und kulturellen Hintergründe keine Tabuthemen sind, können wir wirksam gegen die Ursachen vorgehen.“82 Es gibt also durchaus kritische Stimmen. Es kommt dennoch ein Aber: Diejenigen, die sich kritisch äußern, sind entweder nicht in der politischen Position, etwas zu ändern, oder sind in einer Partei, die im Allgemeinen derartige Probleme über Jahrzehnte geleugnet hat und weiter leugnet. Und es gibt auch durchaus Leute, die Sprechverbote fordern.

Yasin Bas forderte, dass der Begriff Ehrenmord abgeschafft werde, weil er nur für „Täter mit Zuwanderungsgeschichte“ verwendet werden würde83. Er, der selbst ganz offensichtlich aus einer Migrantenfamilie stammt, versucht damit ein Sprechverbot aufrechtzuerhalten, an das sich Leute, wie etwa Elke Breitenbach, halten. Dabei löst dies das Problem nicht. Wo sind so Leute wie Yasin Bas, wenn es um Kritik an patriarchalischen Strukturen bei muslimischen Einwandererfamilien geht, die solche Ehrenmorde überhaupt möglich machen? Es ist klar, dass mit diesem Sprechverbot nur eine Debatte unterbunden werden soll. Ehrenmorde sind ein praktisches Beispiel dafür, dass man nicht so tun kann, als seien alle Religionen gleichwertig. Wie bereits erwähnt, steht im Islam auf Abfall vom Glauben die Todesstrafe. Auch wenn sich Muslime nicht in einer islamistischen Theokratie befinden, handeln sie danach. Sie betreiben Selbstjustiz, die sich in solchen Ehrenmorden widerspiegeln. Die ermordeten Frauen fallen in diese Kategorie: Sie halten sich nicht an den islamischen Regelkatalog und gelten entsprechend als Glaubensabtrünnige bei ihren Familien. Wenn man also Ehrenmorde zum Sprachtabu erklärt, weil dieser Begriff angeblich „rassistisch gegenüber Migranten“ sei, so kämpft man schlussendlich Hand in Hand mit Islamisten gegen Frauenrechte, für Paralleljustiz und islamistischen Terror.

Wieso sind Linke so sehr gegen die Kritik des Islam? Wohl aus einer vermeintlichen „Toleranzhaltung“ heraus, dass man sogar Intoleranz toleriert, solange sie von einer Minderheitengruppe ausgeht. Apostaten des Islam werden dabei auch ziemlich alleine gelassen. Ibn Warraq – das Pseudonym eines anonymen Islamkritikers – monierte im Hinblick auf die Affäre um Salman Rushdie in einem „Spiegel“-Interview aus dem Jahre 2007: Ich war entsetzt über die Reaktionen der westlichen Intellektuellen. Sie waren nicht in der Lage, das kostbare Gut der Freiheit zu verteidigen, einige machten sogar Rushdie für den Skandal verantwortlich.“84 Der indischstämmige Brite und Ex-Muslim Rushdie veröffentlichte im Jahre 1989 ein Buch unter dem Titel „Satanische Verse“. Die Ajatollah aus dem Iran setzten deshalb ein Kopfgeld auf ihn aus, das über die Jahre immer wieder erhöht worden ist. Volker Zotz schrieb am Thema vorbei, als er in seiner „Geschichte der buddhistischen Philosophie“ behauptete, dass der Islam besser als das Christentum sei, weil es ja keine vorherigen Religionen verdränge und führte dafür als Beispiel die Zoroastrier im Iran, die Hindus auf dem indonesischen Bali und die Hindus in Indien an85. Wie ein deutsches Sprichwort so schön besagt: Ausnahmen bestätigen die Regel. Was Zotz auslässt, ist die Tatsache, dass die erwähnten Religionen fast vollständig verdrängt worden sind im Iran und in Indonesien. Indien ist ein Sonderfall, da Hindus, obwohl sie Polytheisten sind, den Dhimmi-Status erhielten (was eigentlich dem Koran widerspricht). Dennoch wurden Pakistan und Bangladesch praktisch völlig islamisiert. Zotz romantisiert die überlieferten polytheistischen Religionen in Ostasien, die bis heute fortbestehen und stellt sich nicht die Frage, was aus den ehemals polytheistischen Arabern geworden ist. Bei der Besetzung der Großen Moschee von Mekka im Jahre 1979 kamen vergrabene Götzenbilder zum Vorschein, die die Saudis verschwinden ließen. Volker Zotz übt am Christentum eine zerfleischende Religionskritik, während der Islam außerhalb einer solchen Kritik bei ihm steht. Das ist typisch für die heutige Zeit, besonders für das linke Spektrum.

Das führt bis hin dazu, dass manche fordern, die Scharia sollte als Parallelrecht für Muslime erlaubt sein. In Großbritannien dürfen seit 2007 gewisse Gerichte nach der Scharia Urteile fällen86. Das höhlt das Gewaltmonopol des Staates aus. Seyran Ates schreibt: „Ich bin der Auffassung, dass die Scharia selbst in ihrer liberalsten Auslegung mit unserer Verfassung nicht in Einklang steht. Denn sie ist eine religiöse Rechtsordnung, die sämtliche Lebensbereiche des Menschen zu regeln beansprucht und als Gesetzgeber einzig und allein Allah anerkennt.“87 Die Scharia ist nicht besser als die Leviten (3. Buch Mose). Die Einführung der Scharia als Parallelrecht für Muslime wird von Identitätspolitikern wohl noch als „Schutz von Minderheiten“ angesehen, während eine Einführung der Leviten als Parallelrecht unter Juden und Christen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wegen ihres religiösen Gehalts, ihrer rückständigen Regeln und ihrer brutalen Strafen kritisiert werden würde. Es geht heutigen Linken nicht mehr um Religionskritik, sondern die undifferenzierte Verteufelung alles Westlichen, während alles Fremde geheiligt wird.

Hamed Abdel-Samad hat doch recht, wenn er sagt: „Eigentlich sind Religionskritik, Antiautoritarismus, Einsatz für Meinungsfreiheit, Freiheit der Kunst, sexuelle Freiheit und Kampf für Frauenrechte traditionell linke Spezialgebiete. Es sei denn, es handelt sich um den Islam, dann wird so manches ganz anders bewertet. Während die Linken nichts dagegen haben, wenn Jesus, Moses und Buddha durch den satirischen Kakao gezogen werden, bezeichnen viele Linke eine Karikatur von Mohamed als Angriff auf Muslime. Hat die Linke die Nacktheit und die sexuelle Freizügigkeit zelebriert und das prüde, spießige Bürgertum der 1960er Jahre kritisiert, bleibt sie, mit wenigen Ausnahmen, stumm, wenn es um die strenge Sexualmoral, die Kontrolle der weiblichen Sexualität und die Homophobie im Islam geht. Und nicht nur das. Das Kopftuch, das ein Symbol der Geschlechtertrennung ist, wird neuerdings von manchen linken Neofeministinnen als ein ´Symbol der Selbstbestimmung´ deklariert. Heute gilt es eher als rechts, eine Kultur zu kritisieren, in der die Ehre der Frau mit ihrer Jungfräulichkeit verknüpft wird und wo die Sexualmoral noch prüder und spießiger ist als seinerzeit die der Deutschen. Linke, die kein Problem haben, mit Muslimbrüdern gemeinsame Sache zu machen, halten Islamkritik für islamophob und bigott. Man will, dass Muslime als gleichberechtigt behandelt werden, erwartet von ihnen aber weniger als das, was man von sich selbst erwartet.“88 Letztendlich gibt sich die politische Linke selbst auf, indem sie jeden Islamkritiker als „intolerant“ und „rechts“89 abtut, denn der Islam selbst ist intolerant und, dem politischen Gehalt nach bewertet, rechtsextrem. Wir dürfen keine Kuckuckseier in unserem Nest ausbrüten!

Man darf auch nicht auf die wenigen Reformmuslime zeigen und meinen, dass die Mehrheit der Muslime so ticken würde. Seyran Ates stellte fest: „Die meisten Islamverbände vertreten einen fundamentalistischen, strengen Islam, und sie sind in irgendeiner Form mit den Herkunftsländern verbunden.“90 Das ist der Grund, wieso sie die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin eröffnete, die von den meisten Muslimen kritisiert oder gar attackiert wird. Ates sagte: „Offenbarungsreligionen, so wie sie praktiziert werden, sind generell nicht meine Sache. Mein Islam ist friedlich, toleriert andere Menschen, kennt Nächstenliebe. In meinem Islam gibt es keine Geschlechtertrennung. Diese alte, patriarchalische Struktur und Tradition sind in meinem Islam abgeschafft.“91 Darin liegt ein Problem: Es ist der Islam, der nach ihrer Art viele festgeschriebene Regeln bricht. Es ist eine Art „Protestantisierung des Islam“. Das drückt sich auch in einer falschen Analogie von Ates aus: „Ich sage, wenn das Christentum reformiert werden konnte, kann auch der Islam reformiert werden.“92 Ihre Prämisse läuft auf den üblichen Fehler heraus: Koran und Bibel als gleichwertige Bücher zu betrachten, die auf dieselbe Weise funktionieren würden. Deshalb wird die Mehrheit der Muslime Ates bekämpfen und sich dabei auf die islamischen Schriften berufen. Das al-Buchari enthält folgenden Hadith: „Die beste Rede ist das Buch Gottes. Das beste Vorbild ist das Vorbild Muhammads. Und die schlechtesten aller Dinge sind Neuerungen, die in die Religion eingeführt werden.“93 Das macht es praktisch unmöglich, den Islam zu reformieren und dabei ein authentischer, gläubiger Muslim zu bleiben. Reformmuslime sind also streng genommen keine Muslime mehr laut den eigenen Spielregeln des Islams. Das muss offen ausgesprochen und die entsprechende Konsequenz muss gezogen werden: Der Islam ist nicht säkularisierbar, ohne dass man ihm Kerninhalte herausoperiert. Dennoch glaube ich nicht daran, dass in absehbarer Zeit eine Mehrheit dieses Problem erkennen wird und sich im Wunschdenken die Lage stattdessen weiter schönreden werden. Es ist noch immer so, wie Caesar sagte: Die Menschen glauben gerne das, was sie wollen94.

Epilog

Die Abwürgung der Debattenkultur durch Sprechverbote macht es praktisch unmöglich, dass man über wichtige Themen kontrovers diskutiert. Dennoch bedeutet dies nicht, dass man jede Form der Debatte hinnehmen müsste. Das klassische Beispiel eines Enfant terrible ist Thilo Sarrazin. So wie es Sarrazin tat, als er Islamkritik mit rassistischen Klischees und Sozialdarwinismus verband, muss man mit Härte begegnen. Die SPD schloss ihn offiziell am 31. Juli 2020 aus der Partei aus, ein ganzes Jahrzehnt nach seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“. Im April 2022 fordert Sarrazin, der schon längst nicht mehr in der SPD war zu diesem Zeitpunkt, dass Gerhard Schröder wegen seiner Beziehungen zu Russland aus der SPD austreten solle95. Sarrazin sitzt im Glashaus und wagt es also, mit Steinen zu werfen. Jedenfalls haben solche Sichtweisen und Forderungen einen Hintergrund. Sie kommen nicht von ungefähr, schließlich handelt es sich nicht um überwiegend sachliche Kritik, die an ein paar Stellen ausgeufert ist. Sarrazins Denken war zu jeder Zeit rechtsextrem geprägt. Schon im Jahres seines SPD-Eintritts, also 1973, legte Sarrazin eine durch die Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte Kosten-Nutzen-Rechnung der Sklaverei vor, die an Rentabilitätsrechnungen der SS für KZ-Insassen erinnert96. Im Dezember 1989 schlug Sarrazin dem damaligen Finanzminister im Kabinett Kohl, Theodor Waigel (CSU), vor, die Wirtschafts- und Währungsunion zwischen BRD und DDR baldestmöglich umzusetzen97. Den Vorschlag wiederholte Sarrazin am 29. Januar 1990 in einem Papier zu diesem Thema98. Dabei kalkulierte Sarrazin mit einer Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland von 35% bis 40%99. Im Jahre 2008 gestand Sarrazin Hartz-IV-Empfängern zynisch zwischen 3,76€ und 3,98€ pro Tag zum Leben zu, wobei der damalige tägliche Regelsatz 4,25€ war100. Und dieser Betrag war schon zu niedrig. Man kann also allein an seinen Statements und Entwürfe über die Jahrzehnte ersehen, dass er ein neoliberaler Sozialdarwinist übelster Art ist. Nach dem Ausschluss aus der SPD legte er seine wesentlichen ideologischen Eckpunkte noch einmal dar. Thilo Sarrazin gewährte der Berliner Zeitung ein am 2. Mai 2022 veröffentlichtes Interview. Zum SPD-Ausschluss sagte er: Ich fühlte mich schlecht behandelt.“ Als Sarrazin daraufhin gefragt wurde, ob er sich denn jemals als „echter Sozialdemokrat“ gefühlt hätte, lieferte er eine Antwort, die mit der Beantwortung dieser Frage nichts zu tun hatte. Das sollte wohl ein Nein bedeuten, bedenkt man Sarrazins ideologischen Hintergrund. Schließlich meinte er, dass er bei seinem Eintritt in die Partei im Jahre 1973 sie für einen „liberalen Verein“ hielt. Er warf der heutigen SPD ein „emotionales Verhältnis zum Marxismus“ und „Antiamerikanismus“ vor101. Man kann daran doch ersehen, dass er tatsächlich am besten bei der AfD aufgehoben wäre, wie man ihm vorwirft. Einer Partei, deren Geschichte seit 1914 nur aus der Bekämpfung des Marxismus besteht und der Anbiederung an den Westen, solche Vorwürfe zu machen deutet auf derartige politische Wahnvorstellungen hin. Man kann ersehen, dass Thilo Sarrazin keine Person ist, die es ehrlich meint, sondern eine neoliberale Weltanschauung vertritt.

Bei den Hintergründen zu den Sprechverboten geht vordergründig es um Personen wie Thilo Sarrazin. Letztendlich aber geht es darum, gewisse Personengruppen außerhalb jeglicher sachlichen Kritik zu stellen. Benjamin Franklin sagte einmal: „Diejenigen, die grundlegende Freiheiten aufgeben würden, um temporär ein wenig Sicherheit zu erhalten, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“102 Die Sprechtabus sind geschaffen worden, um auf die Grundfreiheit der Meinungsfreiheit zu verzichten, um kurzfristig Sicherheit zu erlangen, indem man nicht verbal aneckt. Dadurch aber werden langfristig Probleme nicht diskutiert und somit auch nicht behoben. Wir sollten diesen Teufelskreislauf durchbrechen und nicht nach Anerkennung bei der bürgerlichen Presse und den westlichen Liberalen buhlen. Das zahlt sich nicht aus und entspricht nicht unseren Klasseninteressen.

Das Motto von Karl Marx war: An allem ist zu zweifeln103! Wir sollten an allem zweifeln – es dürfen und es tun.

1 Vgl. Moliére „Der Geizhals“, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1977, S. 43.

14 Vgl. „An Inés Armand“ (17. Januar 1915) In: W. I. Lenin „Werke“, Bd. 35, Dietz Verlag, Berlin 1979, S. 155.

15 Vgl. „Erinnerungen an Lenin“ (1924/1925) In: Clara Zetkin „Ausgewählte Reden und Schriften“, Bd. III, Dietz Verlag, Berlin 1960, S. 139.

16 Ebenda, S. 140.

17 Vgl. Ebenda, S. 134/135.

19 Markus 8, 18.

31 https://www.ndr.de/kultur/Debatte-um-kulturelle-Aneignung-Alles-geklaut,gedankenzurzeit1806.html Entsprechend titelte Ralf Schlüter vom NDR zu dieser Thematik: „Alles geklaut?“

33 Siehe bspw.: „Die Tochter des Jade-Kaisers“ In: (Hrsg.) Pham Duy Khiem „Vietnamesische Märchen“, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1972, S. 18 f.

34 Siehe bspw.: „Der treusorgende Sohne und der Glücksanteil“ In: (Hrsg.) Shoji Endo/Rotraud Saeki „Märchen und Sagen von Tokashiki“, IUDICUM Verlag, München 2006, S. 24 ff. Dieses Märchen stammt ursprünglich aus dem chinesischen Buch „Chronik über die Suche nach Göttern“.

39 Vgl. Karl Marx „Zur Judenfrage“ (1843) In: Karl Marx/Friedrich Engels „Werke“, Bd. 1, Dietz Verlag, Berlin 1981, S. 373.

40 Vgl. Hamed Abdel-Samad „Der Untergang der islamischen Welt“, Knaur Taschenbuch Verlag, München 2010, S. 201. Diese These wiederholt Abdel-Samad in seinen späteren Büchern immer wieder.

41 https://sunnah.com/bukhari:6982 (Englisch und Arabisch) Laut der Hadithsammlung al-Buchari sagte Mohammed zum Erzengel Gabriel, als er ihm in der Höhle erschien und zu ihm sagte, dass er rezitieren solle: „Ich kann nicht lesen.“

42 Vgl. Sure 26, 165-166 In: (Übs.:) Rudi Paret „Der Koran“, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1983, S. 261.

43 Vgl. Sure 4, 16 In: Ebenda, S. 62.

44 Siehe: Farid ud-Din Attar „Die Konferenz der Vögel“, marixverlag, Wiesbaden 2020, S. 144 f.

45 Vgl. Seyran Ates „Der Multikulti-Irrtum“, Ullstein Verlag, Berlin 2008, S. 183.

46 Sure 33, 59 In: (Übs.:) Rudi Paret „Der Koran“, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1983, S. 297.

47 Sure 4, 34 In: Ebenda, S. 64.

48 Sure 9, 5 In: Ebenda, S. 132.

49 Sure 5, 73 In: Ebenda, S. 87.

50 Sure 2, 65 In: Ebenda, S. 18.

51 Vgl. Sure 5, 60 In: Ebenda, S. 86.

52 Sure 109, 6 In: Ebenda, S. 438.

53 Sure 5, 51 In: Ebenda, S. 85.

55 Vgl. Matthäus 7, 15.

56 „Geheime Geschichte der Mongolen“, Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig und Weimar 1989, S. 168, Abschnitt 240.

57 Vgl. Ebenda, S. 39, Abschnitt 103.

58 Siehe: Sure 2, 127 In: (Übs.:) Rudi Paret „Der Koran“, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1983, S. 23.

Mohammed führt die Kaaba auf Abraham zurück. Eigentlich war sie ursprünglich eine Kultstätte der arabischen Polytheisten.

59 https://sunnah.com/bukhari:6922 (Englisch) Diese Aussage fehlt in der Reclam-Ausgabe. Ein Zufall?

60 Vgl. „Sahih al-Buhari“, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1991, S. 447.

61 Vgl. Ebenda, S. 451.

62 3. Mose 20, 10.

63 Johannes 8, 7.

64 Sure 2, 282 In: (Übs.:) Rudi Paret „Der Koran“, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1983, S. 42.

65 Vgl. „Sahih al-Buhari“, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1991, S. 281.

66 Vgl. Ebenda, S. 289.

67 Ebenda, S. 311.

68 Ebenda.

69 Hamed Abdel-Samad „Der Untergang der islamischen Welt“, Knaur Taschenbuch Verlag, München 2010, S. 126.

70 „Sahih al-Buhari“, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1991, S. 61/62.

71 Vgl. Ebenda, S. 68/69.

72 https://sunnah.com/tirmidhi/22/46 (Englisch und Arabisch)

73 https://sunnah.com/tirmidhi/38/40 (Englisch und Arabisch)

74 Vgl. „Geheime Geschichte der Mongolen“, Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig und Weimar 1989, S. 143, Abschnitt 207.

75 Vgl. Seyran Ates „Der Multikulti-Irrtum“, Ullstein Verlag, Berlin 2008, S. 85.

76 Vgl. Ebenda, S. 88.

77 Vgl. Ebenda, S. 94.

78 Vgl. Ebenda, S. 93.

85 Vgl. Volker Zotz „Geschichte der buddhistischen Philosophie“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 300.

87 Seyran Ates „Der Multikulti-Irrtum“, Ullstein Verlag, Berlin 2008, S. 159.

88 Hamed Abdel-Samad „Integration – Ein Protokoll des Scheiterns“, Droemer Verlag, München 2018, S. 200/201.

89 Siehe: Seyran Ates „Der Multikulti-Irrtum“, Ullstein Verlag, Berlin 2008, S. 249. Selbst Seyran Ates musste sich solche Vorwürfe anhören, bis hin zur Nazikeule.

90 Ebenda, S. 197.

91 Ebenda, S. 213.

92 Ebenda, S. 215.

93 „Sahih al-Buhari“, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1991, S. 485.

94 Vgl. „Der Gallische Krieg“, Buch III, 18 In: Julius Caesar „Sämtliche Werke“, Phaidon Verlag, Essen/Stuttgart 1984, S. 83.

103 Karl Marx „Bekenntnisse“ In: Karl Marx/Friedrich Engels „Werke“, Bd. 31, Dietz Verlag, Berlin 1965, S. 597.

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