Neoliberaler Totalitarismus

Margret Thatcher prägte die TINA-Doktrin „There is no alternative.“ (Es gibt keine Alternative). Es mag sein, dass Thatcher in Großbritannien regiert hat, dennoch wird diese Mentalität in neoliberalen Kreisen in der gesamten westlichen Hemisphäre so vertreten. Man denke dabei nur an Merkels rhetorische Formel „Es gibt für uns keine Alternative.“!

Diese Rhetorik, die von den neoliberalen Regierungen im Westen so offen ausgesprochen worden ist, ist bloß die Spitze eines viel tiefer liegenden Eisbergs. Was bedeutet denn, dass es „keine Alternative“ gäbe? Eine Einschränkung des Debattenspielraums! Wenn es zum bestehenden neoliberalen Kurs tatsächlich „keine Alternative“ gäbe, bedeutet das, dass man sich mit oppositionellen Meinungen gar nicht erst auseinanderzusetzen braucht, weil diese ohnehin nicht ernst zu nehmen wären. Formalrechtlich herrscht in den bürgerlichen Staaten Meinungsfreiheit, praktisch besteht sie daraus, dass man entweder die vorherrschende Meinung mit gewissen Nuancen wiederkäut, oder gesellschaftlich sanktioniert wird. Dies ist Ausdruck eines neoliberalen Totalitarismus.

Gewöhnlich wird von bürgerlicher Seite den sozialistischen Staaten der Totalitarismus-Vorwurf gemacht, weil in diesen offen zugegeben wird, welchen Klassencharakter dieser Staat hat und dass der Sozialismus Staatsdoktrin ist. Diese bürgerliche Seite ist aber selbst auf ihre Weise totalitär. Alternativen zum Kapitalismus unterliegen einem Denkverbot, sei es so offen ausgesprochen wie bei Thatcher, oder durch Implikation. Thatcher mag zwar mit ihrem offen verkündeten Alternativtabu die bekannteste Vertreterin dieses neoliberalen Totalitarismus zu sein, aber sie ist nicht dessen Erfinderin. Diese ideologische Verbohrtheit der neoliberalen Kapitalismusapologeten ist nicht neu und besitzt auch ihre Klassiker, so wie wir Marxisten unsere Klassiker haben.

Ludwig von Mises und Friedrich Hayek sind die klassischen neoliberalen Ökonomen, die gerne aus der staubigen Mottenkiste geholt werden, um antisozialistische Positionen zu „fundieren“. Mises warf dem Marxismus „Gegnerschaft zur Freiheit“ vor1, Hayek warf dem Sozialismus die „Gefährdung der persönlichen Freiheit“ vor2. Dieses neoliberale Weltbild von Mises und Hayek spiegelt sich auch im 2003 verfassten Nachwort zu Hayeks „Der Weg zur Knechtschaft“ von Peter Steinbach wider, der von einem „planwirtschaftlich-diktatorischen System“ und einem „marktwirtschaftlich-demokratischen System“ spricht3. Hayek bezeichnete die Planwirtschaft als „Diktatur auf wirtschaftlichem Gebiet“4 und bezichtigte den Sozialismus sogar, den Faschismus hervorgebracht zu haben5. Diese Behauptung ist höchstgradig lächerlich, allein aus dem Klassencharakter der beiden Gesellschaftsordnungen heraus. Wie sich spätestens mit Pinochet in Chile zeigen sollte, sind eine faschistische politische Ordnung und eine neoliberale wirtschaftliche Politik nicht nur keine Widersprüche, sondern bilden ein passendes Tandem für die Klasseninteressen der Bourgeoisie. Klasseninteressen existieren aber in der neoliberalen Doktrin formell nicht, der Klassencharakter wird verschleiert.

Mises behauptete, dass es keine Klassen und Klasseninteressen geben würde: „Eine Gesellschaft, in der Gleichheit vor dem Gesetz besteht und in der jedermann frei ist, zu tun, was er will – in solch einer Gesellschaft gibt es keine starren ´Klassen´ und keine unversöhnlichen ´Klasseninteressen´.“6 Was Mises macht, ist, die formaljuristische Gleichheit mit der sozioökonomischen Gleichheit gleichzusetzen. Dies funktioniert aber nur auf dem Papier. Wenn ein Gesetz das Eigentum von Produktionsmitteln erlaubt, kann natürlich de jure jeder diese besitzen; de facto können nur jene Produktionsmittel besitzen, die das nötige Kapital dafür besitzen. Genau darin liegen die Klassenunterschiede und die entsprechenden Interessen. Mises aber klammert sich an die formaljuristische Gleichheit, wie die x-beliebigen neoliberalen Apologeten heutzutage, die dieses stumpfe Schwert gegen die Kritiker des Kapitalismus schwingen. Letztendlich dient diese Reiterei auf Paragraphen bloß der Delegitimierung des Ausdrucks von Klasseninteressen der Werktätigen. Mises spricht den Werktätigen einfach ab, objektive Interessen zu besitzen. Das ist durchaus totalitär: Außerhalb der neoliberalen Weltsicht gibt es keine legitime Position aus der Sicht von Mises.

Man kann sagen, dass eine jede Klassenherrschaft auf ihre Weise „totalitär“ ist, da die Herrschaft einer Klasse die Herrschaft anderer Klassen logischerweise ausschließt. Allein aus ihrem eigenen Überlebensinteresse heraus wird sie sich selbst als alternativlos darstellen – ob dem wirklich so ist, wie im Sozialismus, oder auch nicht, wie im Kapitalismus. Würde eine Gesellschaftsordnung andere Klassenherrschaften als gleichwertige Alternativen ansehen, würde sie sich selbst untergraben. Entsprechend kann man nicht einmal sagen, dass die neoliberalen bürgerlichen Ideologen aus einem „bösem Willen“ heraus handeln würden; sie handeln lediglich aus den radikalen Konsequenzen der bürgerlichen Klassenherrschaft heraus. Deshalb äußern sie sich so totalitär.

1 Vgl. Ludwig von Mises „Der freie Markt und seine Feinde“, mises.at, o.O. 2016, S. 26.

2 Vgl. Friedrich A. Hayek „Der Weg zur Knechtschaft“, Lau-Verlag, Reinbek/München 2014, S. 183.

3 Vgl. Vgl. Peter Steinbach „Nachwort zur Auflage 2003“ In: Ebenda, S. 220.

4 Ebenda, S. 94.

5 Vgl. Ebenda, S. 46.

6 Ludwig von Mises „Der freie Markt und seine Feinde“, mises.at, o.O. 2016, S. 56/57.

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