Vom Überzeugen

Ein alltägliches Problem das seit Urzeiten besteht: Die Kunst des Überzeugens. Han Fei sagte, dass die Schwierigkeit des Überzeugens darin besteht, das Innere des zu Überzeugenden zu kennen, damit ihn die Worte erreichen1. Dieses Problem beinhaltet, dass das Gegenüber sich einfach verschließen kann bei bestimmten Argumentationsweisen und somit einfach auf der eigenen Sicht beharrt, mag sie noch so falsch sein. Han Fei sagte auch, dass man sich durch Beratungsresistenz und dem Beharren auf der eigenen falschen Meinung zum „Gespött“ macht2. In der konkreten Situation wird das aber eine Person, die so handelt, nicht einsehen wollen. Kommen wir deshalb zu Grundsätzen, an die man sich halten sollte.

Es gibt vier grundlegende Probleme, die Han Fei anspricht, bei seinen Ausführungen. Diese wären zusammengefasst:

1. Wenn man Argumente kurz und bündig darlegt, so kann das Gegenüber denken, man wüsste nicht mehr;

2. Wenn man ausschweifend über kleine Details spricht, so kann das Gegenüber einen als Schwätzer ansehen;

3. Wenn man wenige Fakten und altbekannte Ideen vorbringt, so kann das Gegenüber einen als unfähig ansehen;

4. Wenn man Dingen auf den Grund geht und breit argumentiert, so kann das Gegenüber einen für unhöflich und hochnäsig halten3.

Der erste Punkt spricht das Problem der Oberflächlichkeit an. Mit rein oberflächlicher Argumentation in Form von Axiomen kommt man nicht weit. Aufgestellte Thesen müssen begründet werden.

Der zweite Punkt spricht das Problem der Nebensächlichkeit an. Mit Gerede über unnötige Details macht man einen schlechten Eindruck, weil diese nichts zur Sache bringen. Man schwätzt also ohne inhaltlich vorwärts zu kommen.

Der dritte Punkt spricht das Problem der Allgemeinplätze an. Mit der Anführung von weithin bekannten Ideen wird man für unwissend gehalten, weil es sich dabei um nichts Neues handelt und deshalb keine Gedankentiefe mit sich bringt.

Der vierte Punkt spricht das Problem an, wenn man ein Thema tiefer diskutiert, als das Gegenüber es nachvollziehen kann. Man redet das Gegenüber dann mit unverständlichen Informationen voll, was als unhöflich angesehen wird und vermittelt das Gefühl, man habe nur vor mit dem eigenen Wissen zu protzen.

Diese Punkte basieren alle auf der Einheit der Gegensätze von Zuviel und Zuwenig. Argumentiert man zu viel, kann das Gegenüber es geistig nicht mehr verarbeiten oder man versteigt sich in nebensächliche Details und schweift ab. Entsprechend bleibt nichts hängen. Argumentiert man zu wenig, so beweist man letztendlich die eigenen Anschauungen nicht hinreichend und gilt dem Gegenüber als ungebildet. Entsprechend wird die Meinung dann als unqualifiziert abgetan.

Entsprechend dieser Punkte kann es sein, dass ein voreingenommenes Gegenüber jede Aussage von uns so negativ wie nur möglich auslegt, um unsere Anliegen gar nicht erst systematisch vorbringen zu lassen und uns möglicherweise zu beschuldigen oder Vorwürfe zu machen aus absichtlicher Fehlinterpretation heraus. „Um einem ein Verbrechen anzulasten, findet gewiß sich immer eine Schuld.“4 – Dieser Spruch aus dem Zuozhuan ist dabei passend. Wenn man jemandem gar keine Chance geben will, dann sucht man eben nach dem sprichwörtlichen Härchen in der Suppe und bauscht ein Problem auf. Das kann vorkommen, wenn jemand kein Interesse daran hat, die Wahrheit zu erkennen. In solchen Fällen sind Diskussionsgespräche sinnlos, sind ein Abmühen wie im Hamsterrad. In Internetdiskussionen gerät man allzu häufig ins Hamsterrad. Dann lohnt sich es nicht, die Debatte fortzuführen. Anders verhält es sich bei Gesprächen zwischen verschiedenen Personen. Damit lassen sich Sachverhalte einfacher regeln, als schriftlich. Das eigene Auftreten spielt dabei eine besondere Rolle. Die persönliche Beziehung spielt auch eine wichtige Rolle. Wenn das Gegenüber einem kein Vertrauen schenkt, dann wird es häufiger Vorbehalte haben. Es kommt nicht selten vor, dass persönliche Beziehungen eine größere Überzeugungskraft besitzen, als die Sachargumente selbst. Dass man sich kennt und vertraut ist auch eine Grundlage dafür, dass man konstant miteinander im Gespräch ist. „Steter Tropfen höhlt den Stein.“, wie ein Sprichwort besagt. Wenn man häufiger die Gelegenheit miteinander zu diskutieren und auf verschiedene Sachbereiche zu sprechen kommt, dann überzeugt man das Gegenüber nicht nur von einer bestimmten Haltung, sondern von einem ideologischen System.

Allgemein ist in Gesprächen die Authentizität sehr wichtig. Liu Xiang schrieb einst: „Dem Herz, das ehrlich ist, öffnen selbst Steine sich.“5 Es ist kaum möglich jemanden von einer Meinung zu überzeugen, die man nur oberflächlich und formal vermitteln kann. Das ist etwa, wenn man jemanden von der Notwendigkeit einer Regel überzeugen will, von der man selbst nicht viel hält und das auch entsprechend durchschimmert. Genauso wenig sind auswendig gelernte Lehrsätze überzeugend. Das endet so wie Teraishi aus dem Roman „Die Straße ohne Sonne“ von Sunao Tokunaga. Dieser sprach als Agitation während eines Streiks: „Je mehr Arbeitslose, desto schneller die Revolution!“ Die Arbeiter antworteten ihm: „Du hast wohl noch immer Reis genug zu essen gehabt, deshalb kannst du so etwas einfach daherreden, aber für uns bedeutet Entlassung – verhungern!“6 Das verletzt natürlich Befindlichkeiten und ist nicht einmal völlig richtig. Natürlich steigert eine höhere Arbeitslosenquote den sozialen Druck, aber andererseits ist theoretisch höheres revolutionäres Potential nicht immer tatsächlich höher. Neben der Tendenz der Revolution gibt es auch noch die Resignation. Resignation zeigt sich beispielsweise in den hohen Selbstmordraten in Japan oder Südkorea. Es ist von den gesellschaftlichen Umständen abhängig, ob Revolution oder Resignation überwiegen. Deshalb ist ein solcher Lehrsatz nur oberflächlich richtig, abgesehen von der Verletzung der Befindlichkeiten der Arbeiter, wenn man diesen als Agitationsphrase versucht zu verwenden. Versucht man auf die Weise zu überzeugen, wie es Teraishi tat, so fällt man durch. Deshalb ist es wichtig, dass man versucht die konkrete Situation zu erklären und was in dieser angebracht ist. Katechisten gibt es auf der Welt bereits zu viele in verschiedener Couleur. Allesamt sind sie so nutzlos wie Teraishi.

Der Marxismus wird durch die Analyse der konkreten Situation lebendig7. Wir sollten deshalb beim Gegenüber ausloten, was dieses bewegt und von den bisherigen Erkenntnissen ausgehend den Bogen zu uns schlagen. Das benötigt einiges an Feingefühl und Empathie. Yan Ying sagte einmal: „Die weisen Herrscher des Altertums wussten, wenn sie sich satt gegessen hatten, um den Hunger des Volkes. Wenn sie sich warm fühlten, so wußten sie auch, daß es Leute gibt, die frieren.“8 Es geht darum, die Lebensverhältnisse des Gegenübers zu erkennen, verstehen und zu analysieren und nicht darum, unsere eigenen Lebensumstände analog auf andere zu übertragen. Nur weil es einem selbst etwa einigermaßen gut geht, so bedeutet das nicht, dass es allen gut geht. Wir müssen unseren Blick nach unten richten, nicht hoch in Richtung Wolken. Die Hauptvoraussetzung für die Überzeugungsarbeit ist das objektive Klasseninteresse, das vorhanden sein muss. Shen Dao stellte einmal fest: „Der Schreiner, der vom Särgezimmern lebt, bedauert kaum, wenn andre sterben. Wo Vorteil lockt, versiegt die Scham.“9 Das lässt sich auch auf die Bourgeoisie übertragen, die von der Ausbeutung des Proletariats lebt und man deshalb nicht mit Argumenten dagegen überzeugen kann. Deshalb können wir nur das werktätige Volk überzeugen und uns auf dieses stützen. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.

Die obigen Ausführungen sind alle nicht neu. Sie sollen lediglich kurz und bündig einige Grundsätze wachrufen, um Fehler zu vermeiden und somit den Zeitverlust für die Korrektur zu reduzieren.

1Vgl. Han Fei „Die Kunst der Staatsführung“, KOMET Verlag, Köln 1994, S. 101, Kapitel 12.

2Vgl. Ebenda, S. 72, Kapitel 10.

3Vgl. Ebenda, S. 102/103, Kapitel 12.

4Dso Dschuan“ In: (Hrsg.) Ernst Schwarz „So sprach der Meister – Altchinesische Lebensweisheiten“, Bechtermünz Verlag, Augsburg 1999, S. 155.

5Lju Hsjang“ In: Ebenda, S. 257.

6Sunao Tokunaga „Die Straße ohne Sonne“, Dietz Verlag, Berlin 1960, S. 215.

7Vgl. „´Kommunismus´“ (12. Juni 1920) In: W. I. Lenin „Werke“, Bd. 31, Dietz Verlag, Berlin 1966, S. 154.

8Frühling und Herbst des Yän Dse“ In: (Hrsg.) Ernst Schwarz „So sprach der Meister – Altchinesische Lebensweisheiten“, Bechtermünz Verlag, Augsburg 1999, S. 167.

9Schen Dse“ In: Ebenda, S. 164.

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